Der Attentaeter von Brooklyn
pochte.
»Mein Bruder«, sagte Chamis Sejdan leise, »lass uns jetzt zu deinem Sohn gehen.«
Als die Atlantic Avenue in eine sanfte Steigung überging, wurden die arabischen Läden und Cafés spärlicher. Die islamischen Buchläden mit ihren Broschüren über die moslemische Ehe und mit goldenen Intarsien verzierten Ausgaben des Koran wichen unscheinbaren Büros von Kautionsvermittlern, die wie ihre Kundschaft hinter Gittern saßen. Die Vermittler hatten über ihren Türen knallige Schilder mit vollmundigen Versprechen hängen, als sei die vorläufige Entlassung aus dem Gefängnis eine Ware, über die man im Übrigen genauso wenig einen weiteren Gedanken verschwenden musste wie über ein Stück Pizza.
Auf der anderen Straßenseite erhob sich ein neunstöckiger Turm aus rosa Stein. Die Fenster bestanden aus dicken Glasbausteinen, um ein Gewirr aus Eisengittern gemauert, die das gesamte Gebäude umgaben. Die Äste der Bäume entlang des Gehwegs waren bis auf die grauen Stämme heruntergekappt, sodass sie wie Männer aussahen, denen die Hände auf dem Rücken gefesselt waren. Auf dem Schild über dem geschwärzten Glas des Eingangs stand Brooklyn Detention Complex.
Omar Jussuf hob den Kopf, blickte entlang der Gitter in den Glasbausteinen bis zum Dach des Gefängnisses. Wassertropfen sprenkelten seine Brillengläser. Es hatte zu regnen begonnen.
Kapitel
10
Ein Wärter tastete Omar Jussuf ab und führte ihn durch eine Metalltür, deren Farbe – ein seifiges Blau wie auf Swimmingpoolfliesen – abblätterte. Hinter ihm entdeckte der Wärter Chamis Sejdans Zigaretten und nahm sie ihm ab. Der Polizeichef von Bethlehem fluchte leise vor sich hin und rieb sich nervös über den Rücken seiner Handprothese.
»Gefällt es dir etwa nicht, zur Abwechslung mal in einem fremden Knast zu sein?«, sagte Omar Jussuf.
»Meine Wache hat nur ein paar Zellen«, murmelte Chamis Sejdan. »Sie ist eigentlich gar kein Knast. Das hier ist ein richtiger Knast. Man kann es riechen.«
Omar Jussuf nahm einen unterschwelligen, strengen Körpergeruch wahr, der sich mit dem Dunst chemischer Desinfektionsmittel mischte. Er verströmte die bedrückende Trostlosigkeit von Sanitäreinrichtungen solcher Anstalten, als ob die Insassen Insekten oder Bazillen seien, die mit Industriesäuren aus Eimern ausgerottet werden sollten.
Hinter der Metalltür erwartete sie ein stämmiger Wärter, dessen Schultern den ganzen Flur füllten. Omar Jussuf roch den Duft billigen Parfüms, der von der dunkelblauen Uniform des Wärters aufstieg. Er schnüffelte danach, um das Desinfektionsmittel abzuwehren, aber der Duft mischte sich mit einem Hauch trockenen Schweißes, den das Parfüm eigentlich überdecken sollte. Er schnüffelte an dem französischen Parfüm, das er stets auf seinen Handrücken platzierte, um unangenehme Gerüche kontern zu können.
Der Wärter nahm ein Klemmbrett entgegen, das ihm sein Kollege durch die Tür reichte. Er überflog es mit den schläfrigen Augen eines Mannes, der zu viel gegessen hat, und blaffte: »Sie sind hier, um Sirhan zu besuchen?«
»Sie haben völlig recht, verehrter Herr«, sagte Omar Jussuf, hielt sich so aufrecht, wie sein kleiner Bauch es erlaubte, und redete in Floskeln, die seiner Nervosität entsprangen.
Der Wärter hob die Augen vom Klemmbrett, als glaubte er, Omar Jussuf wolle sich über ihn lustig machen. »Verwandt mit dem Burschen, der Bobby Kennedy ermordet hat?«
»Wie ich sehe, kennen Sie Ihre Attentäter«, sagte Omar Jussuf. »Sirhan Sirhan kam aus einer völlig anderen Familie. Ich bin mir sicher, dass die Taten des Mörders des Senators meinen Sohn schockieren würden. Er war nie ein gewalttätiger Junge.«
Der Wärter schob sich die Zunge unter die Unterlippe und hielt Omar Jussuf das Klemmbrett hin. »Hier unterschreiben«, sagte er. »Sie beide.«
Als Omar Jussuf das Klemmbrett an Chamis Sejdan weiterreichte, fiel ihm eine Anstecknadel an der Brusttasche des Wärters auf. Sie zeigte das Datum des berüchtigten Anschlags; die Ziffern der »Elf« waren kräftiger gezeichnet und von einem Sendemast gekrönt, sodass sie den Twin Towers glichen. Unterhalb des Motivs verliefen die Stars and Stripes .
»Mein Sohn hätte auch niemals diesen Angriff gutgeheißen.« Omar Jussuf deutete auf die Anstecknadel.
Der große Wärter kam Omar Jussuf so nahe, dass sein dicker, strammer Bauch gegen das Zwerchfell des Lehrers drückte. »Ich habe im Trade Center einen Bruder verloren. Er war Polizist, und er hat
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