Der Aufgang Des Abendlandes
dürfen, nur einen formalen Unterschied. Beide schlossen mit ihrem Herrgott einen Pakt persönlicher Eitelkeit. Von
der Menschheit an sich wäre also auf keinem Wege Ethik zu erwarten, nur Gotterkenntnis könnte ihren bösen
Willen brechen. Abstrakte, nur auf sich selbst gestellte Ethik, wie Kant sie träumte, ist leerer Wahn, dieser
ehrwürdige Ethiker scheint ein von Erdenschwere Belasteter, der ohne Flügel jenseits der »praktischen
Vernunft« fliegen will. Nietzsches Anmaßung, sich jenseits von Gut und Böse stellen zu wollen, als ob ein
Diesseitswurm die Fähigkeit hätte, ein Jenseits aus eigener Kraft zu finden, hat allerdings in klarerer Auslegung
gesunden Sinn, uralt wie alles Neue Nietzsches, sobald man es des hochtrabenden Prophetentons entkleidet. »An sich ist
nichts gut und bös, das Denken macht es erst dazu.« Dies aus Bruno entlehnte Hamletwort bezieht sich auf die
Relativität aller Moralbegriffe und ihre Hinfälligkeit, sobald nur aus praktischem Bedürfnis der Gesellschaft
abgeleitet. Verwechslung von Ethik mit menschlichen Nützlichkeitsgesetzen änderte sich nie. Noch heute fehlt
Verständnis, warum Jesus den Schacher am Kreuz segnete und den Pharisäer zur Hölle verdammte. Letzterer
bedeutet den allgemeinen Menschentyp, der sich für »gut« hält, weil er äußerliche Gesetze
hält, d. h. seine Mitmenschen nicht gar zu arg übers Ohr haut oder Wohltätigkeit praktiziert, um sein Ansehen
zu fördern. Die unbewußten Heuchler überwiegen weit die bewußten, sind aber vor Gott noch
verdammenswerter, weil der aus Berechnung heuchelnde Schuft wenigstens vor sich selber ehrlich ist und sich keineswegs als
gut empfindet, wenn er die Welt zum besten hält. Eine Handlung des Sünders kann hingegen böse sein, ohne
daß er selber diese Bezeichnung verdient. Denn, wie es im Streit Duthers mit Katholiken und Calvinern über die
Opera operata unklar empfunden wurde, es kommt nur auf die innerste Gesinnung an, was man unter Umständen auch mit
fragwürdigem Ausdruck »Glauben« umhüllen mag. Denn es ist der Erkenntnisglaube der ostasiatischen
Weltanschauung an das Karmagesetz der Wiedergeburten als Selbstkausalität, was sie wirklich jenseits von Gut und
Böse, Schuld und Strafe des unreifen Allzumenschlichen stellt. Das organische lieben als verkörperter Egoismus kann
keine angeborene moralische Anlage in sich tragen, wie schottische Metaphysik im 18. Jahrhundert naiv lehrte. Adam entdeckt
erst, daß er »nackt« sei, daß es ein ethisch Gut und Böse gebe, nachdem er Erkenntnis aß
und »Gott« vor ihm stand. Jede Ethik kann nur aus dieser Offenbarung stammen, in welcher das lieben durch Leiden
sich selbst erkennt. Jesu Satz, kein »Reicher« komme »ins (inwendige) Himmelreich« ist zwar
wörtlich gemeint, besagt aber vor allem, daß eudämonistisches Behagen ohne genügende Leiderfahrung
nichts erkennen, daher kein Verhältnis zu Gott gewinnen könne. Der Anstoß zur Ethik, ihr Grund und Sinn liegt
daher außerhalb des Ichs, das von sich aus nie ethisch fühlt, und gewissermaßen auch außerhalb des
Gebens, denn sie kann sich nur auf ein Leben-in-Gott beziehen. Ethik ohne Religion ist eine Orchidee ohne Baum, um den sie
sich ranken darf, ohne Beziehung auf eine Tatsache, nämlich eine für Gläubige und Erkennende gültige
göttliche Weltordnung, auf welche allein sich die Forderung des »Guten« berufen darf. Denn wenn es innerhalb
der Sansarabegriffe (indische Benennung des Materiescheins) weder Gut noch Böse gibt, erkennt der tiefer Prüfende
ein transzendental Gutes und Böses. Gut ist alles, was zur Einheit mit »Gott« führt, schlecht alles,
was davon abführt. Jeder Exzeß der Selbstsucht vergrößert die Entfernung. Sogar die entschuldbare
Selbstbehauptung, der nicht nur Petrus, sondern auch Jesus ihren Fleischeszoll entrichteten (»laß den Kelch von
mir vorübergehen!« »mein Gott, warum hast du mich verlassen?«), ist ein von Mystikern und
Buddhistenheiligen durchschauter feiger Täuschungswahn. Verbrechen, Sünden, jede Form der Selbstsucht, sind als
kausal bestimmt nicht an sich strafwürdig und »schlecht«, da sie ja dem Ich-Vorteil »zugute«
kommen sollen, den eine Materie ohne Gott als »gut« für sich auffassen sollte. Sondern sie sind schlecht
(und ihr Gegensatz gut) nach höherem transzendenten Gesetz, das man geradezu physikalisch nennen könnte. Sie
erscheinen optisch als Flecken in der Reinheit des Ätheralls, beleidigen sozusagen
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