Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
eine große Ameise,
ihr Lebenswille hat sicher auch Weltvorstellungen, man kann aber aus einem Tropfen wohl die Beschaffenheit des Meerwassers,
nicht aber das Wesen des Weltmeers konstruieren, das Unendlich-Große hat unbekannte Eigenschaften, nicht abgezogene
Menschenbegriffe. Der selige Gottlieb Schulze, der »im Nebel« haust, vertröstet auf »Gebet und
Christus«, wie seine Familienangehörigen sein Gestammel haben möchten. Doch stammelt nicht auch Hegel
über Unerkennbares? »Alles Vernünftige ist wirklich, alles Wirkliche vernünftig« heißt
antithetisch Unvereinbares verquicken. Was man das Wirkliche nennt, ist kausal geworden und wird so fortwährend, das
daraus abstrahierte Vernünftige ist nur ein nicht mal konstantes Werturteil, an dem kein Wirklichkeitssinn unbedingte
Kausalnotwendigkeit nachweisen kann. Viel wird wirklich, was der Menschenvernunft widerstrebt, Hegel glorifizierte erst
Napoleon und ebenso bereitwillig den preußischen Polizeistaat als vernünftig, also waren Greuel und Torheiten der
französischen Revolution so vernünftig wie ihre bessern Elemente, ein Massenmörder hat als wirklich gleiches
Vernunftrecht wie Jesus. Phänomenologie hat einen Knacks in der Denkweise, für Menschenurteil ist Wirkliches nicht
immer vernünftig, Vernünftiges nicht wirklich, weil es nicht sichtbar ist! Nur was »höher als alle
Vernunft« kann leiden als sinnvoll ertragen, Urchristentum hat vielleicht mehr Verständnis als Buddha, der
gewaltsam das Wirkliche bezwingen und künstlich ausrotten will. Denn die Weltökonomie kennt notwendig kein
Übel; was der Mensch so empfindet, ist trotzdem notwendig, also heilsam. Der Held, der für seine Ideale
kämpft, ist unvernünftig in Hegels wie Buddhas Sinne, doch die Weltvernunft, nach ihrem
Größenmaßstab unfaßlich für Menschenverstand, bestimmte ja deterministisch die Heldenpsyche, die
ihren notwendigen Idealismus als ihr alleingültige Wirklichkeit entfaltet.
    Religion und Philosophie gehen darin einig, daß sie beschränkten Menschenverstand zum Maß aller Dinge
machen, schon Magister Sokrates bekannte weise, das All außerhalb des Menschen sei ihm schnuppe. Kants Imperativ
schleppt theologische Eierschalen mit, dem natürlichen Menschen befiehlt kategorisch nur sein heiliger Egoismus,
für ihn büßt jede »Tatsache« gerade durch ihr Sichtbarwerden psychische Wahrheit ein. Der
seltsame Feldherr Wellington, in dessen diplomatischer Nüchternheit manchmal etwas Intuitives aufblitzte,
äußerte zu Lady Saislbury: »Betrachtet man einen Gegenstand, taucht plötzlich eine ganze Kette von
Urteilen auf wie ein Lichtstrahl, man sieht alles zugleich und doch braucht man zwei Stunden, um niederzuschreiben, was in
einem einzigen Augenblick im Geiste vorfiel, jeder Teil des Gegenstandes, die Beziehungen aller Teile aufeinander, alle
Folgen davon stehen da vor Augen«. Dies beschreibt, bei ihm auf niedere Ebene der Wirklichkeit beschränkt, das
Telepathische jeder genialen Anlage, den Zustand der Illumination, wo er sehr richtig den Augenblick viel höher
einstellt als die nachhinkende Zeit der Auseinandersetzung bei Zerlegung des Gegenstands. So wird für Verstehen des
Unsichtbaren spontane Theorie immer praktischer sein als Praxis, tausend Geistererscheinungen sagen nicht so viel als
erkenntnistheoretisches Erfassen der Geisterwelt. »Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des Menschen
allerhöchste Kraft!« ruft nicht der Theosoph Goethe, sondern sein Mephisto der Materie, Goethe selber
erklärte jeden inspirierten Gedanken für freies Geschenk der Götter, das man passiv in sich aufnehme. Diese
fälschlich Vernunft betitelte Empfangsstelle für ätherische Telefunken schafft Wissen auf höchst
unwissenschaftlichem Wege, spintisierende Denksysteme schwanken hin und her wie Luthers betrunkener Bauer. Luther selbst war
ein handfester Anthroposoph, der Gott Ohrfeigen anbot, wenn er dem religiösen Größenwahn nicht zu Willen sein
will: Gott als Wille und Vorstellung des Menschen! Der Polpunkt Gott, der auch die Erdachse beliebig verändern kann, ist
aber ein springender Punkt, wie Pascal frei nach Montaigne und Cusa sagte »le Centre nulle part«. Ständige
Formeln wie »Gaswirbel«, »Ätherschwingung« sind bloße Worte, Sprachdenkbegriffe, durch
neue unsichtbare Potenzen könnten alle Säulen der Naturforschung einstürzen.
    Die Erscheinungswelt wird uns in winzigen Bruchstücken sichtbar wie die Sternschnuppe durch

Weitere Kostenlose Bücher