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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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breiterem
Maßstab den Haß gegen Geistmenschen. Gorki trampelt auf Tolstois und Dostojewskis Gräbern, doch als den
Zarismus verdientermaßen der Teufel holte, hörte man nicht die Warnung der eingestampften Bibel »Die Rache
ist mein.« Wilhelm der Nichtschweiger wollte »den Russen den Demokratenstaub aus der Weste klopfen«,
dafür klopfte das Schicksal ihm die Hosen voll. Im »Dunkeln Wald«, Weltkriegsroman von Walpole, blitzt
seelische Erleuchtung durch Todesgrauen, doch wertloser Tod sühnt kein wertloses Leben, Kampf von Unrecht gegen Unrecht
wie im amerikanischen Bürgerkrieg, vollzieht wechselseitige Vergeltung, stets tönt von höherer Warte ein
Hoheslied der Nemesis. Straßenverkäufer Britton (1659–1714) versammelte wöchentlich um sich vornehme
Lords und Ladies zur Kunstpflege, doch welcher Adel und welcher Proletarier begünstigte sonst solche Gleichstellung von
Rang und Geist! Die Armen-im-Geist – Butter statt Luther – trieben stets Bilderstürmerei. »Welch ein
Verschwender ist die Natur«, seufzt M. Arnold über Heines Matratzengruft, doch ändert dies die Sichtung,
daß in Völker- und Einzelleben mehr Gerechtigkeit herrscht, als uns lieb ist? Seit Hesiod hofft man umsonst auf
Verbesserung, aus Pest und Aussatz werden Tuberkeln und Syphilis, aus Inquisitions-Jakobinertribunale, aus Hexentorturen
hochnotpeinliche Kniffe von Versailler Friedensengeln. Schopenhauer als »Buddha der Table d'hote« (Bourreau) lebt
in ständiger Todesangst, Condorcets »Atlantis«, Cheniers »Hermes« hecken mitten unter
Guillotinebeilen für ihre Unglaubensgenossen den Glauben an irdische Unsterblichkeit aus, de Maistre verheißt
Katholiken Gleiches. Überall Vogelstraußpolitik schmutziger Verschlammung. Mill fiel in die Verelendung, ob Gott
Macht über seine Schöpfung habe, solche vorlaute Beckmesserei vergißt, daß Gott nicht verantwortlich
sein kann für die Bête humaine, die gebundener Marschroute ihres Verschuldens folgt und, vorm eigenen
Basiliskenblick erstarrend, um Hilfe gegen sich selber schreit. Ein witziger Roman »Lebenskomödie« schildert
Oxforder Studentenbengel, nie wachsen sie heraus aus ihrer Philisterhaut, ihr Jugendtollen juckt wie Krätze, im Alter
verlieren sie nur physische Gaben ihrer akademischen Narrheit. Solche Typen soll Gott »lieben«? Christliche
Sündenmohrenwäsche verquickt sich mit Tetzels Ablaßzetteln, der Karmagott aber bedingt sich aus: »Ich
will vergelten«, denn Sein ist die Herrlichkeit der unbedingten Gerechtigkeit. Wer mit dem »liebenden
Vater« Schluß macht als einer entgleisten Persiflage der Notwendigkeit, dem tagt der Wahlspruch der
Selbstverantwortung: Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. In der großen Puppenallee werden theologische und
soziologische Versprechen gespendet als Pralinés für naschgierige Kinder, was kann Gott dafür, daß sie
sich den Magen verderben! Ein düsteres Buch »Jim Street 5« stöhnt Gewissensbisse der Anständigen,
die sich durch Volksausbeutung gemästet fühlen. Gewissen? Was Gewisses weiß man nicht. Doch daß eine
Moral von der Geschicht' da sein müsse, dafür gibt sich Ahnung das Jawort. Fichtes Abhandlung »Über den
Grund des Glaubens an moralische Weltordnung« bleibt leere Gemütsübung, solange man nicht die Menschheit
offenkundig ihr Selbstgericht vollstrecken sieht. Hegel tadelt Kant, daß er Gott für unbeweisbar halte, doch Kant
stand fest auf viel Unbeweisbarerem, nämlich demütigendem Sittengesetz, das der Mensch aus sich selbst herausholt.
Ein schottischer Rationalist folgerte vorschnell daraus moralische Anlage des Menschen, Massenvielheit spottet des
Alleinseligmachens theosophischer Rezepte, immerhin rüttelt der vom Materiegeier zerhackte Prometheus der
geschändeten Psyche an seinen Ketten und »macht den Tod zum Sieg« (Byrons Prometheus). Der Mensch ist
gerichtet, doch gerettet sein Bedürfnis sittlicher Forderung. Entsprechen sich Tätigkeit und Mitgefühl (Raid),
so hätte ein unendlich tätiger Gott unendliches Mitgefühl, doch ohne Karmalehre müßte man meutern,
er verlange mehr Duldermut, als selbst große Seelen leisten können (vgl. Rollands traurige Enthüllungen
über Michel Angelo). Doch das scheint gerade der Zweck der Übung. »O Mensch mit deinem Palmenzweige«,
keines Jahrhunderts Neige lehrt dich mehr, als daß der Karmagläubiger nicht deinen Fallit will und dir
überweltliche Wächter als Konkursverwalter einsetzt. Gott arbeitet selber mit,

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