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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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Umgekehrt hätte Addison seine
milde Bonhomie nie ins Publikum getragen ohne ein so wolkenloses Dasein. Da drängt sich Gewißheit auf, daß
jedem wird, wodurch seine Persönlichkeit sich am richtigsten entfaltet. War der kluge Kritiker Addison zufrieden mit
sich selbst und seiner weltberühmten Stümperei »Cato«, war die glatte Ebenheit seiner sonnigen
Lebenschaussee nicht ein Danaergeschenk? Hätte Swift je mit Philisterglück ohne Größe getauscht? Lieber
Verzweiflung und Wahnsinn, als Verfertiger des Cato und nicht Schöpfer des Gulliver sein, wodurch er der Menschheit mit
vergifteten Dolchstößen heimzahlte, was sie stets an Genialen verbricht, und sich ins Buch der Unsterblichkeit
einschrieb! Je genauer man den Lebenslauf aller Bedeutenden auf allen Gebieten verfolgt, staunt man über
Schicksalsschiebung für Individualrechte. Die Ursprungslage isolierter Geistmenschen wäre aussichtslos ohne
ungewöhnliche Eingriffe ihres »Wächters«, alles spricht dafür, daß gerechte Vorbestimmung
auch den Milliarden, deren Leben unbekannt bleibt, die Bahn vorzeichnet. Weltordnung ist ein weiter Begriff, doch es
wäre zu sonderbar, wenn sonst im All harmonisches Gleichgewicht herrschte, nur für Erdbewohner nicht, so
unharmonisch ihr Streben. Würde ein Geistmensch gern in die Schuhe eines Finanzers überspringen? Dann wäre er
keiner, obendrein ein Narr, keine Speise nährt, wenn die Psyche verhungert. Materie müßte aber alles Geistige
erdrücken, nur durch unberechenbare Gewalten wird der einzige menschliche Lebenszweck, Ausbildung des Individuellen,
ermöglicht. Bulwer protestiert mal gegen »poetische Gerechtigkeit«, bestrafte aber seine Bösewichte so
aufdringlich wie Dickens. Wer viel erfuhr, entsetzt sich geradezu, wie prompt Vergeltung arbeitet und wie raffiniert, es gibt
nicht immanente Ungerechtigkeit für Mit- und Nachwelt. Lord Bulwer, dem und Disraeli nur Byron einen Ständer abgab,
an dem sie den Talar ihrer weltlichen Streberei und Anmaßung aufhingen, schmeckte des Sängers Selbstfluch,
ungerecht von der Nachwelt geohrfeigt, wo er als Muschel vergessen fault am Strand der Literatur, und doch menschlich
verdientermaßen. Als fälschender Ideologe läßt er den gewissenlosen Warwick, den fetten Advokaten
Rienzi, der gackerte wie die Gänse am Kapitol, schuldlos untergehen, doch Charakterbilder schwanken nur in der
Geschichte, die sich nicht auskennt. Die großen Vergrämten in Sanssouci, St. Helena, Sachsenwald wußten
vermutlich sehr gut, wofür das Schicksal sie belohnte und bestrafte. Ein Buch »Taten und Worte« von Zeidler
schmeichelt neudeutschem Antiidealismus mit der Vorstellung eines literarisch entseelten Goethe als »Herzog von
Frankfurt«, Tasso Goethe fühlte freilich gelegentlich Neigungen zum Antonio, doch hätte mephistophelisch
beifällig gekichert zu Bismarcks Zorn: »Es wird nicht besser, bis nicht alle Geheimräte ausgerottet«,
er wußte am besten, wo ihn der Schuh drückte und daß sein Leben genau so verlief, um ihn zum heimlichen
Kaiser und nicht zum Rheinbundssatrapen zu machen. Bentham schäkerte »für die größte Masse das
größte Glück«, Helvetius definierte Tugend als Streben fürs allgemeine Beste, doch der Racker
Staat trägt einen Geßlerhut, dem wir nit Reverenz erweisen, das Futter der Masse ist Gift für
Eigenbewußtsein, »souvent de tous les meaux la raison est le pire« bekannte sogar der Pedant Boileau. Wo
die Menge vor Vogelscheuche Vernunft und dem das Beste beschneidenden Staat kniet, betet der Denker zum großen Gesetz
des innern Ausgleichs, wichtiger als jede äußere Experimentalbetrachtung zum Verständnis der
»Natur« als rein psychischer Bewegung. Nirgends Untergang, überall Übergang der Werte ineinander. Der
Starblinde sieht im Leben ein Rübenfeld, der Kurzsichtige ein Moderfeld der Verwesung, der Sehende ein Schlachtfeld,
über dem die Sonne immanenter Gerechtigkeit tagt. Dies Karmalicht der Urweisheit entschleiert zu schauen, das würde
und das wird der neue Aufgang des Abendlands sein.
     

16. Der transzendentale Monismus und das Gesetz des Entgegenkommens.
     
     
1
    Wer zum Mount Everest aufklimmt, vor dem taucht immer neu eine höhere Spitze auf. Doch stieg unsre Bergfahrt schon so
hoch über die Wolken, daß wir ausruhen und überschauen dürfen. Alles Errungene läßt sich
zusammenfassen: Idealismus, was man so nennt, hängt irrig transzendentalem Dualismus an, Materialismus irrig
mechanischem

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