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Der aufrechte Soldat

Der aufrechte Soldat

Titel: Der aufrechte Soldat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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Tag.« So erklärte Bamber es, und so sagte er es des öfteren. »So bringt man die Zeit im Kittchen hinter sich, wißt ihr – man hört nicht auf Gerüchte, und man lebt einfach in den Tag hinein.«
    Bamber sprach die Wahrheit. So hatten wir in der Schule gelebt; und so lebte ich auch jetzt. Tag folgte auf Tag, in Kanchapur genauso wie woanders. Ich blickte nie nach vorn.
    Warum auch? Die Listen gingen herum; jemand anderer hatte die Befehlsgewalt darüber, was am nächsten Tag mit einem geschehen würde.
    »Meinen Sie, daß die 8. Brigade in der nächsten Woche nach Persien verlegt werden könnte?« fragten Carter und ich Bamber und Chalkie White, den zweiten alten Hasen des 2. Zuges.
    »In dieser Armee ist alles möglich«, meinte Chalkie. »Wenn man uns auf den Gipfel des Everest versetzte, würde mich das überhaupt nicht überraschen.«
    »Mal ehrlich, Chalkie!«
    »Ihr jungen Burschen!« rief Bamber mit seiner tiefen und melancholisch klingenden Stimme. »Ihr rennt nach solchen Gerüchten herum wie aufgescheuchte Hühner! Achtet einfach nicht auf solche Gerüchte. Wir werden dorthin gehen, wohin wir geschickt werden, sobald sie uns losschicken, und es gibt nichts, was ihr oder ich daran ändern können.«
    Weise, aber unbefriedigend. Die Nachricht von Persien als unserem nächsten Einsatzland kam noch vor dem Morgenappell auf, als wir unsere Gewehre reinigten; bis zum Mittag wurden die ersten Einzelheiten bekannt. Wir sollten uns mit irgendwelchen russischen Truppenverbänden am Kaspischen Meer zusammentun und ihnen dabei helfen, die Wehrmacht auszuschalten.
    »Persien kann doch eigentlich nicht schlimmer sein als dieser verdammte Ort, oder?«
    »Ahoi dem Schiff, das mich nach Hause bringt!«
    »Das ist der schönste Anblick im Fernen Osten – Bombay vom Heck eines Schiffes aus.«
    »Wo ist dieses verschissene Persien? Gibt’s keine Straße dorthin?«
    Da niemand in unserer Einheit genau wußte, wo Persien war, war es schwer zu entscheiden, ob diese Neuigkeit eine Verbesserung unserer Verhältnisse versprach. Aber Captain Gore-Blakeley wurde dabei beobachtet, wie er sich ernst mit Sergeant Charley Meadows unterhielt, was die Vermutung nahelegte, daß irgendwas am Kochen war. Gewiß klang Persien besser als Akyab oder Ramree an der gefürchteten Arakan-Küste von Burma.
    Dann, nach einem oder zwei Tagen, wurde Gore-Blakeley erneut bei einem Gespräch mit Charley Meadows gesehen, und Arakan wurde wieder als wahrscheinlichstes Ziel gehandelt. Persien verschwand aus den Ge sprächen. Kombinierte Operationen, meinten einige, wo bei die 2. Division die Invasion Burmas von See aus anführ te. Noch vor Weihnachten!
    »Ihr sollt Gerüchten keinen Glauben schenken«, mein te Bamber.
    Wir hatten einen Fachmann, den wir stets um Rat fragen konnten. Das war Ali, unser Teebursche. Vormittags, am späten Nachmittag und den ganzen Abend bis zum Zapfenstreich saß Ali in unserem Kasernenblock oder wanderte durch die Gänge, verkaufte seinen dünnen sü ßen Tee zu zwei Annas je Tasse und bot gleichzeitig kleine süße Kuchen zu vier Annas je Stück an. Seine letzte Runde machte er immer um kurz vor zehn. Dabei saß der Teebehälter auf seinem Turban, und Ali rief mit halblauter Stimme: »Leckerer Kuchen und köstlicher Tee, Kuchen und Tee! Die letzte Runde, Gentlemen, vor dem Zapfenstreich!« Leute, die erst spät eintrudelten, fragten: »Wo ist Ali?« und schimpften und fluchten, wenn sie ihn verfehlten. Ali war eine Berühmtheit.
    Ali genoß hohen Respekt. Er hatte zahllose neue Rekruten in Kanchapur einrücken sehen und wußte, wie er mit ihnen umgehen mußte. Man hielt ihn allgemein für einen raffinierten alten Bastard. Er unterhielt ein begrenztes Kreditsystem, was genauer hieß, daß er einem gelegentlich eine Tasse Tee oder ein Stück Kuchen genehmigte, wenn man völlig blank war und ihm versprach, gleich am nächsten Zahltag die offene Summe zu begleichen. Er schrieb sich niemals etwas auf und konnte sich an unzählige Schuldbeträge erinnern. Donnerstags waren alle Säufer völlig abgebrannt und blieben in der Kaserne, spielten Pontoon um Zündhölzer und tranken Tee, den sie erst am nächsten Tag bezahlten.
    Neben Ernie Dutt, unserem Unteroffizier, war der ältes te Mann im 2. Zug Chalkie White. Chalkie war ein echter alter Stratege mit einem wettergegerbten Gesicht, einwandfreier Ausrüstung und polierten Stiefeln. Er war der Torwart unserer Mannschaft. Bei der Wachparade spielte Chalkie immer den Flügelmann.

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