Der Augenblick der Liebe
mind, please. Anna, siehst du nicht, daß ich ununterbrochen, so gut wie ununterbrochen, nur an Beate denken kann. Sie beherrscht mich. Anna.
Aber da er ihr nicht sagen konnte, wie es in ihm zuging, und da sie nicht in ihn hineinsehen konnte, saßen sie ein ander gegenüber, stumm, leidend. Allein jeder, aber zu sammen für immer. War das das Gesetz? Oder das Leben? Ihr Leben? Kein Tier würde sich mit einer so miesen Kom munikation abfinden. Ein Tier würde aussterben oder sich entwickeln. Annas Augen zeigten weder Geduld noch Unge duld. Annas Augen sind das Höchstmögliche. Aber diese Augen sahen nichts, das waren Augen zum Angeschaut werden, nicht zum Schauen. Oder wußte, fühlte, merkte, sah sie alles und wartete auf eine alles überschwemmende Wörterflut? Menschenpfusch, Oder war nur er verpfuscht und alle anderen waren fein heraus, lebten mit einander in vollkommener Offenheit und erledigten jede allenfalls auf tauchende, sich bilden wollende Störung durch glimpfliches Verbalisieren? Die Bibel, Denn der Mensch sieht auf das, was vor Augen ist, beutet diesen Evolutionspfusch schamlos aus. 1. Samuel 16: Der HERR sieht auf das Herz.
Seit er wußte, daß er wieder hinüber mußte, seit sich die ThemireTagundNachtbilder in ihm schärften und ihm seine Lebensversäumnisse vorexerzierten, wollte er Anna etwas melden, was er in Amerika in der Zeitung gelesen hatte. Eine Liebesgeschichte. Die reinste Liebesgeschichte überhaupt. Eine Begebenheit, die alle erfundenen und pas sierten Liebesbegebenheiten übertraf. Übertraf an Liebe. Eine May Hyatt lag seit sechs Jahren bewußtlos im Pflegeheim. Der Verwaltungsangestellte Mr. Hyatt besuchte seine Frau zweimal in der Woche. Bei einem solchen Besuch erschoß er seine Frau mit einer Pistole, danach tötete er sich durch einen Kopfschuß. Was würde Anna dazu sagen? Könnte sie das, wie er, für die reine Liebe halten? Und wo ist das Denkmal für John und May Hyatt? Es müßte das höchsteschönste innigste Denkmal der Welt sein. Das Denkmal für den einzigen Menschen, der je geliebt hat.
Gottlieb hatte Angst. Nachts fühlte sich seine Angst an wie eine große Geschwindigkeit, die einem den Atem verschlägt. Möglich, daß Anna nichts wußte von dem, was in ihm tobte. Ja, tobte. Selbst wenn Anna alles wüßte, wüßte sie nichts. Aber gestern kam sie, blieb in der Türöffnung stehen, bis er zugab, daß er sie bemerkt hatte, hielt ihm beide Hände hin, in jeder Hand eine Kammhälfte. Er mußte ergänzen: Ihr war beim Kämmen der Kamm gebrochen. Aber weil er nichts sagte, mußte sie sagen, was er hätte sagen sollen. Was bedeutet das? Sagte sie. Und er hatte nur das Gesicht verziehen können, eine Schmerzgrimasse produzieren. Er konnte einfach nicht sagen, was sie, ohne daß er es sagte, wissen mußte. Und das, was er nicht sagen konnte, wuchs und wurde je länger um so unaussprechbarer.
Aber auch wenn er Mr. Hyatt wäre, Anna war nicht be wußtlos. Er hatte Angst. Und es ewig auf den Evolutions pfusch schieben, half auch nichts. Er hatte Angst. Innen und außen, so unvereinbar wie noch nie. Er konnte nicht mehr liegen. Wie er sich auch zu legen versuchte, es gelang kein Liegenbleiben. Also stand er nachts auf, ging hinunter, setzte sich in seinen Schreibtischstuhl und starrte. Wenn die Unmöglichkeiten zu grell wurden, flüchtete er aufs Papier. Das tat er auch jetzt. So schrieb er sich hin:
Morgen geh ich, fahr ich,
morgen bin ich nicht mehr, wenn gefragt wird, ob ich,
Weitere Kostenlose Bücher