Der Augenblick der Liebe
Wellensittiche (einen gelben, einen blauen), im Scarsdale Home. Mit denen unterhält sie sich, wenn der Vater im Whently Hill Club seine Pflicht tut. Wenn er abends nicht heimkommt, ruft die Mutter die Tochter an und sagt, der Erzeuger sei wieder ins 19. Loch gefallen. So nennen die Golfer dort die Country Club Bar. Seinen Job in New York malt er immer so aus: In dieser Stadt deutsche Autos verkaufen, das ist wie barfuß durch die Wüste. Und nie vergißt er den Witzsatz eines Kunden, eines jüdischen Kunden, bitteschön: In den USA leben 5½ Millio nen Juden, davon 6 Millionen in New York. Dieser Vater kommt aus Deutschland nicht heraus. Dabei trägt er, be richtet die Mutter am Telephon, in seiner Freizeit unsäglich gesprenkelte Shorts. Vater unser.
Daß man von Briefen, die noch nicht eingetroffen sind, am Telephon erfährt, sogar Inhaltliches, Temperaturhaftes, das zeigt, wie in unserer Kommunikationszivilisation das eine Medium das andere überholt. Sie hoffte, es finde keine darwinistische Auslese statt. Sie konnte inzwischen ohne Briefe so wenig leben wie ohne Anrufe. Dem Briefschreiber dort empfahl die Empfängerin (schon das ginge, bliebe es beim Telephonieren, verloren: Empfängerin), ihr nach Hause zu schreiben, die UNC ist berüchtigt wegen ihrer lahmen Postverteilung. Auf das Angerufenwerden konnte die Ange rufene nicht verzichten, weil sie da die Gewählte war. Der Dortige aber hat in beiden Medien die gleichen Hemmun gen. Die Empfängerin hat im vergangenen Jahr drei Heirats anträge empfangen. Könnten Mitteilungen dieser Art den Sender drüben ermutigen, sich in der Selbstzensur mäßigen zu wollen? The ball is in your court now. You have to determine the limits. Die kindliche Anhänglichkeit des letzten Bewerbers hatte in ihr Weißglut produziert. So etwas erlebt zu haben heißt, es bei einem anderen vermeiden. L¹expérience und L¹imagination. Andererseits pfeift sie auf Kontakt, wenn sie sich nicht eingestehen darf, daß sie bei Wendelin Krall Bestätigung suche (reassurance). Gegen Glen O. Rosenne. Bei dem gibt es Anerkennung nur in homöo pathischen Dosen. Zum Glück hat sie Patricia Best. Zu einem Doktorvater gehört eben auch eine Doktormutter. Ohne Patricia Best wäre sie längst nicht mehr hier. Wo sie dann wäre? Wo der Pfeffer wächst. Sagt man das noch? Patricia Bests Mutter ist 1937 an einem Freitag in New York angekommen, sechzehnjährig, mit zehn Mark, das waren zwei Dollar fünfzehn, und einer Leica, für die sie fünfunddreißig Dollar kriegte. Ihre Mutter hatte ihr die mitgegeben, hatte gesagt, dafür kriegst du hundert Dollar. Alle Emigranten haben Leicas mitgebracht. Patricias Mutter hat dann, sechzehnjährig, in einem Cheese Wholesale and Grocery angefangen, Juli 37, das sei der heißeste Sommer überhaupt gewesen, Patricias Mutter sollte die Bestellungen am Telephon entgegennehmen. Aber die kamen alle auf Jiddisch. Nach drei Wochen kapitulierte sie. Wegen der Zahlen. Sie konnte einfach die Zahlen nicht lernen. Patricia Best sagt, es gebe niemanden, der so zuhören könne wie Beate. Und ihre Mutter ist ja auch in Stuttgart geboren. Wie Beate. Obwohl Patricia Best nur einmal in Stuttgart gewesen ist, 1986, und dann beschlossen hat: Nie wieder! nennt sie Beate manchmal fast zärtlich: Meine Stuttgarterin. Auf Deutsch! Sie kann noch viel mehr Deutsch, als sie zugibt. Außer Beate hört kein Mensch ein deutsches Wort von ihr.
Auch Leo nicht, ihr Mann. Das hat sie Beate gestanden. Ja,
Weitere Kostenlose Bücher