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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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das war ein Geständnis. Fast eine Liebeserklärung. 
Aber beide, Patricia Best und Glen O. Rosenne, warnen sie:  Das  sei  Beates  Schwäche,  die  Neigung,  im  Wissenschaft lichen  in  einen  allzu  persönlichen,  gar  privaten  Ton  zu  verfallen. Aber Madelon, der Beate das hinweinte: 
Freuds  Fallbeispiele  sind  bei  weitem  nicht  bloß  medizini sche  Befunde,  sondern  höchst  persönliche  Geschichten,  ihm  dienend  zur  Selbstbeleuchtung.  Aber  dann,  sagte  Madelon,  dann bricht er ab, wenn es brenzlig wird (when it hits home). 
Natürlich  kann  man,  redet  es  in  ihr,  die  Geschichte  von  Lessing  bis  Ursula  Pia  Jauch  nachturnen  und  mit  heute  im  historischen  Kaufhaus  billig  zu  erstehenden  Farben  nach malen;  nichts  ist  risikoloser  als  das:  Heute  nachbeten  den  Eifer  der  Fundamentalisten,  die  Aufklärer  waren  und  Les sing  und  Diderot  und  so  weiter  hießen;  nachbeten  die  Ent wicklungen, die eher auf Wanderwegen und in den Toiletten  feinerer Internate, eher in Salons und Kaschemmen als in den  Hallräumen der Wissenschaft, gar der Philosophie, erbracht  wurden;  nachbeten,  wie  dieser  Eifer  feindseliger  Toleranz prediger inzwischen eher komisch wirkt und La Mettrie jetzt  doch jedermanns (wenn auch noch nicht jeder Frau) Darling  ist! 
Wut. Soweit sie sieht, kommt Wut nicht vor bei La Mettrie.  Ihr Leben besteht aber aus Wut und aus den Versuchen, sich  davon  abzulenken. Die  Wut  ist  die  Mauer  gegen  Angst.  Sie  weiß, sie ahnt mehr, als sie weiß, daß in ihr die Angst lauert.  Die tut so, als sei sie die Wahrheit. Alles andere sind Masken.  Nur die Angst wäre das, was ihr entspricht. Die Angst und  sie.  Allein.  Das  wäre  Wahrheit.  La  Mettrie  hatte  als  der  wahre Kolumbus genug zu tun mit der Entdeckung unserer  unteilbaren Existenz. Dann folgt Freud mit Dora beziehungs weise  Beate  J.  Gutbrod  mit  Wendelin  Krall.  Natürlich  ist  es  ein  Rückschritt,  nach  der  Entdeckung  unserer  Unteilbarkeit  wieder  auf  Unterbewußtsein  und  ÜberIch  zurückzufallen.  Aber  Hysterie  beziehungsweise  Wut  sind,  je  näher  wir  sie  bei ihrer Herkunft lassen, um so treuere Zeugen.  Mad woman  in the Attic.  Das las sie mit Reingewinn! Also unterschlug sie  nicht  mehr,  wie  sie  jetzt  hier  saß:  hellrosa  Jogginghosen  (in  denen noch nicht ein einziges Mal gejoggt wurde) und hell grünes Sweatshirt. Glen O. Rosenne, der ihr letzte Woche La  Mettrie  in  der  FayardAusgabe  vorbeibrachte,  sagte  ganz  munter,  in  diesem  Schlafanzug  müsse  sie  von  himmlischen  Limonaden träumen.  Aber 27 Aufsätze ihrer Literaturklasse  warten  auf  ihrem  Schreibtisch  darauf,  von  ihr  gelesen   UND   benotet  zu  werden.  Schreibtisch!  Um  überhaupt  transat lantisch  vorstellbar  zu  werden, muß  sie  doch  mitteilen,  daß  ihr  Schreibtisch  eine  alte  Tür  ist  (von  ihr  im  Trödelmarkt  gekauft, dann, von ihr, blau gestrichen), auf zwei Holzböcke  gelegt, wie sie in Malerwerkstätten vorkommen. Schrecklich,  wie  wichtig  es  einem  ist,  daß  der  andere  (the  other)  sich  vorstellen kann, wie man leibt und lebt. (Mehr leibt als lebt).  Am  schwersten  waren  tatsächlich  Anfang  und  Ende.  Bei  Briefen!  Oder  überhaupt.  Im  Augenblick  ganz  und  gar  der  Unwirklichkeit  hörig,  schrieb  ihr  German  Other  seelenruhig  hin. Schriebe das die Empfängerin, versagte ihr bei  hörig  die  Hand. Auch hätte sie vielleicht das Gefühl, sie habe sich mit  so einem Satz bei Nacht in einen Urwald gestoßen. In einen  tropischen dazu. Gemalt aber vom Zöllner Rousseau. Von ih rer  gemalten  Nacktheit  sieht  man  hauptsächlich  die  Füße.  Die  streckt  sie  dem  Beobachter  entgegen.  Sie  ist  überhaupt  stolz  auf  ihre  Füße.  Sie  kann  sich  nicht  sattsehen  an  ihren  Nägelhalbmonden.  Die  hat  sie  angepinselt.  Rubinrot.  Rot

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