Der Augenblick der Liebe
das war ein Geständnis. Fast eine Liebeserklärung.
Aber beide, Patricia Best und Glen O. Rosenne, warnen sie: Das sei Beates Schwäche, die Neigung, im Wissenschaft lichen in einen allzu persönlichen, gar privaten Ton zu verfallen. Aber Madelon, der Beate das hinweinte:
Freuds Fallbeispiele sind bei weitem nicht bloß medizini sche Befunde, sondern höchst persönliche Geschichten, ihm dienend zur Selbstbeleuchtung. Aber dann, sagte Madelon, dann bricht er ab, wenn es brenzlig wird (when it hits home).
Natürlich kann man, redet es in ihr, die Geschichte von Lessing bis Ursula Pia Jauch nachturnen und mit heute im historischen Kaufhaus billig zu erstehenden Farben nach malen; nichts ist risikoloser als das: Heute nachbeten den Eifer der Fundamentalisten, die Aufklärer waren und Les sing und Diderot und so weiter hießen; nachbeten die Ent wicklungen, die eher auf Wanderwegen und in den Toiletten feinerer Internate, eher in Salons und Kaschemmen als in den Hallräumen der Wissenschaft, gar der Philosophie, erbracht wurden; nachbeten, wie dieser Eifer feindseliger Toleranz prediger inzwischen eher komisch wirkt und La Mettrie jetzt doch jedermanns (wenn auch noch nicht jeder Frau) Darling ist!
Wut. Soweit sie sieht, kommt Wut nicht vor bei La Mettrie. Ihr Leben besteht aber aus Wut und aus den Versuchen, sich davon abzulenken. Die Wut ist die Mauer gegen Angst. Sie weiß, sie ahnt mehr, als sie weiß, daß in ihr die Angst lauert. Die tut so, als sei sie die Wahrheit. Alles andere sind Masken. Nur die Angst wäre das, was ihr entspricht. Die Angst und sie. Allein. Das wäre Wahrheit. La Mettrie hatte als der wahre Kolumbus genug zu tun mit der Entdeckung unserer unteilbaren Existenz. Dann folgt Freud mit Dora beziehungs weise Beate J. Gutbrod mit Wendelin Krall. Natürlich ist es ein Rückschritt, nach der Entdeckung unserer Unteilbarkeit wieder auf Unterbewußtsein und ÜberIch zurückzufallen. Aber Hysterie beziehungsweise Wut sind, je näher wir sie bei ihrer Herkunft lassen, um so treuere Zeugen. Mad woman in the Attic. Das las sie mit Reingewinn! Also unterschlug sie nicht mehr, wie sie jetzt hier saß: hellrosa Jogginghosen (in denen noch nicht ein einziges Mal gejoggt wurde) und hell grünes Sweatshirt. Glen O. Rosenne, der ihr letzte Woche La Mettrie in der FayardAusgabe vorbeibrachte, sagte ganz munter, in diesem Schlafanzug müsse sie von himmlischen Limonaden träumen. Aber 27 Aufsätze ihrer Literaturklasse warten auf ihrem Schreibtisch darauf, von ihr gelesen UND benotet zu werden. Schreibtisch! Um überhaupt transat lantisch vorstellbar zu werden, muß sie doch mitteilen, daß ihr Schreibtisch eine alte Tür ist (von ihr im Trödelmarkt gekauft, dann, von ihr, blau gestrichen), auf zwei Holzböcke gelegt, wie sie in Malerwerkstätten vorkommen. Schrecklich, wie wichtig es einem ist, daß der andere (the other) sich vorstellen kann, wie man leibt und lebt. (Mehr leibt als lebt). Am schwersten waren tatsächlich Anfang und Ende. Bei Briefen! Oder überhaupt. Im Augenblick ganz und gar der Unwirklichkeit hörig, schrieb ihr German Other seelenruhig hin. Schriebe das die Empfängerin, versagte ihr bei hörig die Hand. Auch hätte sie vielleicht das Gefühl, sie habe sich mit so einem Satz bei Nacht in einen Urwald gestoßen. In einen tropischen dazu. Gemalt aber vom Zöllner Rousseau. Von ih rer gemalten Nacktheit sieht man hauptsächlich die Füße. Die streckt sie dem Beobachter entgegen. Sie ist überhaupt stolz auf ihre Füße. Sie kann sich nicht sattsehen an ihren Nägelhalbmonden. Die hat sie angepinselt. Rubinrot. Rot
Weitere Kostenlose Bücher