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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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oder von irgend jemandem sonst das Gegenteil zu hören. Er  − das immerhin hat seine auf sich selbst, also auf wenig bis  nichts gestellte Existenz erbracht − er ist versöhnt, überhaupt  versöhnt, aber auch versöhnt mit sich selbst. Er gibt zu, das  ist die erste Aussage in dieser Selbstpreisgabe, die nicht ganz  und gar wahr ist. Und alles, was nicht ganz und gar wahr ist,  ist  komplett  erlogen.  Es  gibt  keine  Halbwahrheit.  Aber  erlogen,  das  heißt  nicht,  daß  etwas  vorwerfbar  sei.  Erlogen,  das  heißt  nur,  daß  es  sich  um  Nochnichtverwirklichtes  handelt.  Man  muß,  was  man  noch  nicht  schafft  und  ist,  zu  erlügen  versuchen  (im  Sinn  von  erreichen,  erfühlen  usw.)  Also,  was  er  alles  nicht  ist!  Nicht  einmal  ein  Blender  ist  er.  Ihm  fehlt  die  überall  verlangte,  erwartete  und  akzeptierte  Hochstaplerbegabung  fast  ganz.  Soll  sie  doch,  bitte,  einmal,  flüchtigst,  von  seinen  beiden  Konkurrenten,  ehemaligen  Konkurrenten  Kenntnis  nehmen.  Da  ist  zuallererst  Jarl                     F.  Kaltammer,  der,  ganz  früh,  seinen  Namen  dressiert  hat  zur  Produktion  von  KennedyInitialen.  Dann  radikal  links,  Anführer bei Häuserbesetzungen, Verfasser des Aufrufs, den  Immobilienhandel  als  obsolet  und  politisch  unsittlich  abzu haffen, inzwischen läßt er sich in Privatflugzeugen zu seinen  Objekten  fliegen,  ist  ausschließlich  Schlössermakler,  er scheint  vor  dem  Notar  entweder  in  flaschengrünen  oder  in  bordeauxroten  Seidenanzügen,  seine  Firma  residiert  auf  Little Cayman, zahlt also dem deutschen Staat keine Steuern,  aber  nicht  aus  Geiz,  sondern  aus  Verachtung,  er  ist  Anar chist,  und  als  Staatsverächter  gilt  er  als  Intellektueller.  Auf  dem Kopf hat dieser Kaltammer eine platinhelle Haartracht,  die  man,  solange  man  nicht  versucht  hat,  sie  herun terzureißen,  für  naturwüchsig  halten  muß.  Zweitens,  das  prachtvoll  heimischdemokratische  Gegenstück  und  Su permannsbild  Paul  Schatz,  die  Beliebtheit  schlechthin.  Also,  jetzt  das  Geständnis  aller  Geständnisse,  dessen  außer  ihr  noch  kein  Mensch  teilhaftig  werden  durfte:  Gottlieb  mußte  den  Handel  quittieren,  weil  es  diesen  Paul  Schatz  gibt.  Irgendwann einmal, es war an einem Abend im Juni, das ist  hier  der  eigentliche  Lebensmonat,  da  mußte  er  sich  Paul  Schatz mit stehendem Geschlechtsteil vorstellen. Von diesem  Abend an konnte er sich gegen diese Vorstellung nicht mehr  wehren. Wenn er auch nur an Paul Schatz dachte oder wenn  dessen  Namen  erwähnt  wurde,  und  das  war  sozusagen  andauernd der Fall, sah er den verhältnismäßig kleinen Paul  Schatz  hinter  seinem  hochstehenden  Geschlechtsteil  stehen.  Er  fing  an,  sich  zu  wehren,  stellte  sich  Paul  Schatz  als  Bankbeamten hinter dem Schalter vor, auf dem Tennisplatz,  im Konzert, in Situationen, die ein stehendes Geschlechtsteil  einfach  unwahrscheinlich  machten,  es  nützte  nichts.  Also  gut, wenn er sich Paul Schatz nur noch so denken konnte, so  würde er sich eben daran gewöhnen, sich Paul Schatz so zu  denken.  Was  soll¹s.  Soll  der  eben  mit  ewig  stehendem  Geschlechtsteil  herumlaufen.  Das  mußte  Paul  Schatz  mehr  stören  als  ihn.  Aber  zu  einer  wirklichen  Entspannung  führten  solche  Übungen  nicht.  Es  blieb  quälend,  sich  Paul  Schatz so vorstellen zu müssen. 
Brennen  sich  ihm  nur  Vorstellungen  ein,  die  ihn  quälen?  Neigt  er  zu  ihn  Quälendem?  Auf  jeden  Fall  konnte  er  froh  sein, daß Anna den Handel übernahm. Bei Rousseau und La  Mettrie  fühlte  er  sich  fast  geschützt  vor  Schatz  und  KaltammerHeimsuchungen.  Ihr,  dem  Mädchen  aus  North  Carolina, gestehe er, was er sonst in sich hineinschließe: den  Nachhall  des  Lärms  verlorener  Schlachten.  Er  ist  geflohen.  Nicht  weit  genug.  Er  würde 

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