Der Augenblick der Liebe
oder von irgend jemandem sonst das Gegenteil zu hören. Er − das immerhin hat seine auf sich selbst, also auf wenig bis nichts gestellte Existenz erbracht − er ist versöhnt, überhaupt versöhnt, aber auch versöhnt mit sich selbst. Er gibt zu, das ist die erste Aussage in dieser Selbstpreisgabe, die nicht ganz und gar wahr ist. Und alles, was nicht ganz und gar wahr ist, ist komplett erlogen. Es gibt keine Halbwahrheit. Aber erlogen, das heißt nicht, daß etwas vorwerfbar sei. Erlogen, das heißt nur, daß es sich um Nochnichtverwirklichtes handelt. Man muß, was man noch nicht schafft und ist, zu erlügen versuchen (im Sinn von erreichen, erfühlen usw.) Also, was er alles nicht ist! Nicht einmal ein Blender ist er. Ihm fehlt die überall verlangte, erwartete und akzeptierte Hochstaplerbegabung fast ganz. Soll sie doch, bitte, einmal, flüchtigst, von seinen beiden Konkurrenten, ehemaligen Konkurrenten Kenntnis nehmen. Da ist zuallererst Jarl F. Kaltammer, der, ganz früh, seinen Namen dressiert hat zur Produktion von KennedyInitialen. Dann radikal links, Anführer bei Häuserbesetzungen, Verfasser des Aufrufs, den Immobilienhandel als obsolet und politisch unsittlich abzu haffen, inzwischen läßt er sich in Privatflugzeugen zu seinen Objekten fliegen, ist ausschließlich Schlössermakler, er scheint vor dem Notar entweder in flaschengrünen oder in bordeauxroten Seidenanzügen, seine Firma residiert auf Little Cayman, zahlt also dem deutschen Staat keine Steuern, aber nicht aus Geiz, sondern aus Verachtung, er ist Anar chist, und als Staatsverächter gilt er als Intellektueller. Auf dem Kopf hat dieser Kaltammer eine platinhelle Haartracht, die man, solange man nicht versucht hat, sie herun terzureißen, für naturwüchsig halten muß. Zweitens, das prachtvoll heimischdemokratische Gegenstück und Su permannsbild Paul Schatz, die Beliebtheit schlechthin. Also, jetzt das Geständnis aller Geständnisse, dessen außer ihr noch kein Mensch teilhaftig werden durfte: Gottlieb mußte den Handel quittieren, weil es diesen Paul Schatz gibt. Irgendwann einmal, es war an einem Abend im Juni, das ist hier der eigentliche Lebensmonat, da mußte er sich Paul Schatz mit stehendem Geschlechtsteil vorstellen. Von diesem Abend an konnte er sich gegen diese Vorstellung nicht mehr wehren. Wenn er auch nur an Paul Schatz dachte oder wenn dessen Namen erwähnt wurde, und das war sozusagen andauernd der Fall, sah er den verhältnismäßig kleinen Paul Schatz hinter seinem hochstehenden Geschlechtsteil stehen. Er fing an, sich zu wehren, stellte sich Paul Schatz als Bankbeamten hinter dem Schalter vor, auf dem Tennisplatz, im Konzert, in Situationen, die ein stehendes Geschlechtsteil einfach unwahrscheinlich machten, es nützte nichts. Also gut, wenn er sich Paul Schatz nur noch so denken konnte, so würde er sich eben daran gewöhnen, sich Paul Schatz so zu denken. Was soll¹s. Soll der eben mit ewig stehendem Geschlechtsteil herumlaufen. Das mußte Paul Schatz mehr stören als ihn. Aber zu einer wirklichen Entspannung führten solche Übungen nicht. Es blieb quälend, sich Paul Schatz so vorstellen zu müssen.
Brennen sich ihm nur Vorstellungen ein, die ihn quälen? Neigt er zu ihn Quälendem? Auf jeden Fall konnte er froh sein, daß Anna den Handel übernahm. Bei Rousseau und La Mettrie fühlte er sich fast geschützt vor Schatz und KaltammerHeimsuchungen. Ihr, dem Mädchen aus North Carolina, gestehe er, was er sonst in sich hineinschließe: den Nachhall des Lärms verlorener Schlachten. Er ist geflohen. Nicht weit genug. Er würde
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