Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
tippte weiter. 
Tatsächlich  konnte  Beate  an  nichts  anderes  mehr  denken  als  an  die  ausbleibende  Antwort  aus  Deutschland.  Weder  Brief noch Telephon. Das konnte nur heißen, daß Herr Zürn Krall  durch  die  Aussicht,  in  sechs  Monaten  das  hochlie gende Hin und Her einer Wirklichkeit aussetzen zu müssen,  verstört  worden  war.  Er  hatte  wahrscheinlich  mit  nichts  gerechnet beziehungsweise mit nichts als Wolken und Kulis senschieberei.  Briefe  zur  Gründung  von  Unwirklichkeit.  Und  das  in  alle  Ewigkeit!  Sie  hatte  ja  auch  nicht  anders  gedacht  oder empfunden, auch wenn sie die Ziellosigkeit, die sie sich  verordnete,  nicht  so  gewählt  ausdrückte  wie  ihr  Briefstilist  jenseits  des  Wassers.  Und  jetzt  dieser  Knaller!  März.  Entweder oder! Oh boy, c¹mon. 
Die  Angst,  ihn  zum  Nochwenigersagen  zu  treiben,  war  federführend  gewesen.  Der  Vortrag  natürlich  auf  Englisch.  Da  dürfte  sie  sich  endlich  für  unentbehrlich   halten.  Und   Mitte März, kalifornischer Frühling! Was that not tempting?  Und 500 Dollar, Sir. 
Dann machte er es ihr so schwer wie möglich. Er stellte ihr  eine Aufgabe, eine richtige Hausaufgabe, eine Gleichung mit  zwei Unbekannten: Er und Sie. Und sie sollte sie lösen. Nur  wenn  sie  die  Gleichung  lösen  könne,  könne  er  kommen.  Also,  führte  er  wahrhaft  aus,  nehmen  wir  einmal  an,  zwischen ihnen sei etwas entstanden, wofür es ehrwürdige,  aber  auch  weniger  ehrwürdige  Namen  gibt.  Ihm  ist,  gibt  er  zu, egal, welche Bezeichnung er einheimst. Jeder Zeuge − bis  jetzt haben sie noch keine − (von Madelon hatte sie ihm noch  nichts  geschrieben),  jeder  Zeuge  würde  Themire  und  Sylvandre  (wenn  er  sich  auch  mal  kostümiere)  beurteilen,  wie  es  ihm  beliebt,  wie  er  es  (für  sich)  braucht.  Was  er,  Sylvandre − er gibt zu, daß ihm dieser Rollenname jetzt sehr  gelegen  kommt −,  was  er  aber  selber  wissen  muß,  ist:  Egal,  wie man, was zwischen ihnen ist, nennen muß, warum ist es  entstanden! Noch genauer − er kann das ihr und sich selber  nicht ersparen −: Er weiß nicht, warum sie ihn mag. Sie hat  zwar  Sympathie,  Zugetansein,  ja  Verliebtsein,  vielleicht  sogar gelegentlich heftiges, sie hat es gestanden, hat es durch  Verbergen gesteigert, hat es durch sommernachtstraumhafte  Regieeinfälle immer reizender werden lassen, aber nicht ein  einziges  Mal  hat  sie  sich  gefragt,  WARUM.   Nun  kann  man  natürlich  auch  antworten,  ohne  daß  gefragt  worden  sein  muß. Er aber muß fragen: Warum. Er begreift nämlich nicht,  warum. Er ist nicht  gewinnend,  nicht  gut aussehend,  nicht  reich,  nicht einmal  geistreich.  Er ist furchtbar normal. Erschütternd  durchschnittlich. Dank der Plastizität, also Anpassungs, also  Entwicklungsfähigkeit  seiner  Frau  hat  er  es  sich  leisten  können beziehungsweise einfach geleistet, seine Mitwirkung  im  Immobiliengeschäft  aufs  Schriftliche  einzuschränken.  Er  ist  ein  Lyriker,  der  schweigt.  Als  Denker  Amateur.  Selbst  unter hiesigen Immobilienhändlern gibt es zwei (Schatz und  Kaltammer  heißen  sie),  die  sie,  das  Mädchen  aus  North  Carolina,  viel  anziehender  finden  müßte  als  ihn.  Gut,  die  kennt  sie  nicht.  Er  nennt  seine  beiden  ihm  in  jeder  gesell schaftlichen,  überhaupt  in  jeder  irdischen  Schätzbarkeit  überlegenen  Konkurrenten,  um  sich  selber  für  sie,  das  Mädchen  aus  dem  Westen,  richtig  einzustufen.  Er  ist  der  lehrbuchreife  Mittelstand  in  Gewicht,  Geld,  Ansichten,  Aussichten.  In  ihm,  an  ihm  ist  nichts  Mitreißendes,  und  Spektakuläres schon gar nicht. Und er klassifiziert sich so im  Vergleich zu seinen beiden Konkurrenten − wohlgemerkt, er  hat, Anna sei Dank, aus dieser ihn andauernd verstörenden  Konkurrenz  aussteigen  können −  nicht  etwa,  um  von  ihr 

Weitere Kostenlose Bücher