Der Augenblick der Liebe
tippte weiter.
Tatsächlich konnte Beate an nichts anderes mehr denken als an die ausbleibende Antwort aus Deutschland. Weder Brief noch Telephon. Das konnte nur heißen, daß Herr Zürn Krall durch die Aussicht, in sechs Monaten das hochlie gende Hin und Her einer Wirklichkeit aussetzen zu müssen, verstört worden war. Er hatte wahrscheinlich mit nichts gerechnet beziehungsweise mit nichts als Wolken und Kulis senschieberei. Briefe zur Gründung von Unwirklichkeit. Und das in alle Ewigkeit! Sie hatte ja auch nicht anders gedacht oder empfunden, auch wenn sie die Ziellosigkeit, die sie sich verordnete, nicht so gewählt ausdrückte wie ihr Briefstilist jenseits des Wassers. Und jetzt dieser Knaller! März. Entweder oder! Oh boy, c¹mon.
Die Angst, ihn zum Nochwenigersagen zu treiben, war federführend gewesen. Der Vortrag natürlich auf Englisch. Da dürfte sie sich endlich für unentbehrlich halten. Und Mitte März, kalifornischer Frühling! Was that not tempting? Und 500 Dollar, Sir.
Dann machte er es ihr so schwer wie möglich. Er stellte ihr eine Aufgabe, eine richtige Hausaufgabe, eine Gleichung mit zwei Unbekannten: Er und Sie. Und sie sollte sie lösen. Nur wenn sie die Gleichung lösen könne, könne er kommen. Also, führte er wahrhaft aus, nehmen wir einmal an, zwischen ihnen sei etwas entstanden, wofür es ehrwürdige, aber auch weniger ehrwürdige Namen gibt. Ihm ist, gibt er zu, egal, welche Bezeichnung er einheimst. Jeder Zeuge − bis jetzt haben sie noch keine − (von Madelon hatte sie ihm noch nichts geschrieben), jeder Zeuge würde Themire und Sylvandre (wenn er sich auch mal kostümiere) beurteilen, wie es ihm beliebt, wie er es (für sich) braucht. Was er, Sylvandre − er gibt zu, daß ihm dieser Rollenname jetzt sehr gelegen kommt −, was er aber selber wissen muß, ist: Egal, wie man, was zwischen ihnen ist, nennen muß, warum ist es entstanden! Noch genauer − er kann das ihr und sich selber nicht ersparen −: Er weiß nicht, warum sie ihn mag. Sie hat zwar Sympathie, Zugetansein, ja Verliebtsein, vielleicht sogar gelegentlich heftiges, sie hat es gestanden, hat es durch Verbergen gesteigert, hat es durch sommernachtstraumhafte Regieeinfälle immer reizender werden lassen, aber nicht ein einziges Mal hat sie sich gefragt, WARUM. Nun kann man natürlich auch antworten, ohne daß gefragt worden sein muß. Er aber muß fragen: Warum. Er begreift nämlich nicht, warum. Er ist nicht gewinnend, nicht gut aussehend, nicht reich, nicht einmal geistreich. Er ist furchtbar normal. Erschütternd durchschnittlich. Dank der Plastizität, also Anpassungs, also Entwicklungsfähigkeit seiner Frau hat er es sich leisten können beziehungsweise einfach geleistet, seine Mitwirkung im Immobiliengeschäft aufs Schriftliche einzuschränken. Er ist ein Lyriker, der schweigt. Als Denker Amateur. Selbst unter hiesigen Immobilienhändlern gibt es zwei (Schatz und Kaltammer heißen sie), die sie, das Mädchen aus North Carolina, viel anziehender finden müßte als ihn. Gut, die kennt sie nicht. Er nennt seine beiden ihm in jeder gesell schaftlichen, überhaupt in jeder irdischen Schätzbarkeit überlegenen Konkurrenten, um sich selber für sie, das Mädchen aus dem Westen, richtig einzustufen. Er ist der lehrbuchreife Mittelstand in Gewicht, Geld, Ansichten, Aussichten. In ihm, an ihm ist nichts Mitreißendes, und Spektakuläres schon gar nicht. Und er klassifiziert sich so im Vergleich zu seinen beiden Konkurrenten − wohlgemerkt, er hat, Anna sei Dank, aus dieser ihn andauernd verstörenden Konkurrenz aussteigen können − nicht etwa, um von ihr
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