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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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jetzt  gern  weiterfliehen.  Aus  allen  diesen  Gefangenschaften.  Er  hat  sich  ihr  gegenüber  sofort zu wenig beherrschen können. So wenig, daß er selber  erschrak. Das ist ihm keine dreimal passiert in seinem Leben.  Zweimal vielleicht. Aber dreimal nicht. Jetzt fragt er aber sie.  Jetzt  wendet  er  sich  an  sie.  In  was  ist  er  (bei  ihr)  hineingeraten?  War  sie  in  einer  Lage,  daß  er  auf  sie  anders  wirkte,  als  er  war.  Einem  Ertrinkenden −  um  es  krass  zu  illustrieren − kommt ein mittelmäßiger Schwimmer, der ihn  zu  retten  versucht,  stärker  vor,  als  er  ist.  Er,  Sylvandre GottliebWendelin,  muß  ihr  vor  ihre  begabten  Augen  gekommen sein in einem Augenblick, in dem sie gerade von  einer  übermäßigen  Verklärungskraft  durchströmt  war.  Wie  im  Märchen.  Den  Nächsten,  dem  du  begegnest,  wirst  du  vergolden!  Und  das  ist  nun  zufällig  er  gewesen.  Zufälliger  kann  nichts  sein.  Andererseits  gehört  es  zu  seinen  Unver brüchlichkeiten: Zufälle gibt es nicht. Also muß weiter nach geforscht  werden:  WARUM .  Deshalb  muß  er  im  März  nach  Amerika reisen. Bis dahin aber Tag und Nacht forschen, um  seine  Themire  und  sich  zu  durchschauen.  Das  tut  er  um  so  lieber, als seine Themireforschung bis jetzt nur Schönes und  Schönstes zutage gefördert hat. Und daß sie den Namen der  Frau aus La Mettries LustBuch mit sich besetzt hat, hat ihn  vorwärts,  also  mitgerissen.  Sylvandre!  Er,  Sylvandre!  Nur  um ihr zu entsprechen. Er hat keine andere Wahl. Er muß ihr  entsprechen.  Oder  sterben.  Das  aber  gern.  So  ganz  und  gar  schlicht  ist  ihm  zumute.  Daß  er  sich  im  Augenblick,  in  diesem  Augenblick,  fühlt  wie  der  ausgestattetste  Liebhaber  aller  Zeiten,  erwähnt  er  nur  nebenbei.  Sie  hat  ihm  mehr  als  den Kopf verdreht. Sie hat ihn um seinen Verstand gebracht.  Also  wird  er  abstürzen.  Ikarushaft.  Er  hat  die  Jahrgänge  vergessen.  Ihren  und  seinen.  Verdrängt?  Ach  nein,  nicht  Freud!  Die  fürchterliche  Bedingung  bleibt  allgegenwärtig.  Sylvandre!  Es  ist  schlicht  lächerlich.  Aber  was  spricht  da gegen,  lächerlich  zu  sein?  Liebe  Themire!  Sie  soll  ihn,  bitte,  lächerlich  sein  lassen.  Erst  wenn  sie  ihn  als  ganz  und  gar  Lächerlichen  erträgt,  haben  sie  und  er  (vielleicht)  eine  Chance. Vielleicht nicht. Aber er kann seinen Empfindungen  nicht  beibringen,  sich  nach  Chancen  oder  Nichtchancen  zu  richten. Wie schreibt doch der Patron im  LustBuch: Welch ein  bezaubernder  Kampf  tobte  da  zwischen  den  Kräften  der  Tugend,  der  Schicklichkeit  und  der  Liebe.  Dem  März  entgegenlebend,  grüßt seine Themire deren Sylvandre. PS 1: Aber es bleibt ihr  aufgebürdet:  Warum  glaubt  sie,  ihn  brauchen  zu  können.                         PS 2: Es ist dieses ganz und gar konkrete Datum, das ihn so  geschmissen hat. Aber er bleibt nicht liegen. Er fliegt. Hoch.  Und zu ihr. 
Jetzt erlebte sie, daß es nicht darauf ankommt, mit welchem  Innen  oder  Außenmaterial  jemand  seine  Liebe  erklärt;  es  kommt nur auf den erlebbaren Heftigkeitsgrad an. Und den  erlebte  sie  jetzt.  Die  Verklausuliertheit,  in  der  er  sich  verstrickte, war doch eine einzige Kapitulation: Er ergab sich  ihr.  Diese  Fragerei  nach  dem  WARUM   war  nichts  als  ein  Wortkostüm, mit dem er auftrat, um sie herauszufordern. Sie  sollte ihn übertreffen. Sie sollte noch lauter als er sagen, daß  sie hin sei und wie hin sie sei. Das einzig Lernbare in diesem  Verklausulierungsdickicht: Er war bedürftig. Er war unterer nährt.  Was  ihm  fehlte,  war  weniger  wichtig,  als  daß  ihm  etwas fehlte. Aber er hielt es für möglich, daß sie ihm fehle.  Und das war¹s dann doch. Sie fehlte ihm genau so wie er ihr.  Und die Gründe in ihren beiden Lebensläufen lassen wir erst 

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