Der Augenblick des Magiers
nicht, daß du kurz vor Cugluch plötzlich eines Nachts verschwindest.«
»Das könnte ich gar nicht, das könnte ich gar nicht.« Er schämte sich der Hysterie nicht, die sich in seinem Tonfall offenbarte. Er war ehrlich entsetzt angesichts des bedrohlichen Nahens der ein Meter langen Nadel.
»Es gibt keinen Grund zum Widerstand«, versicherte ihm der Sprecher. »Du würdest dir dabei nur selbst wehtun. Das Ruze- Gift ist schon an Warmblütern erprobt worden. Das Ruze weiß ganz genau, welcher exakten Dosis es bedarf, um dich für die Dauer der Reise zu lähmen.«
»Das ist mir egal. Von mir aus kann es auch Medizin studiert haben! Jedenfalls werdet ihr mir nicht dieses Ding da einschieben!« Er machte einen Satz nach rechts in der Hoffnung, die überraschten Wachen abschütteln und ins Wasser hinausfliehen zu können. Es war ihm inzwischen gleichgültig, ob sie ihn mit ihren Schwertern malträtierten oder nicht.
Doch die bekamen gar keine Chance mehr zu reagieren. Sobald Jon-Tom sich in Bewegung setzte, schlug das Ruze zu. Wie eine zuschnappende Kobra peitschte der Stachel herab. Jon- Tom spürte einen entsetzlichen Schmerz zwischen Hüfte und Oberschenkeln, als der Stachel seine Hose durchdrang und ihn voll in der linken Gesäßbacke traf. Er war selbst von der Lautstärke seines Schreis überrascht. Es war, als hätte ihm jemand eine Säurespritze verpaßt.
Das Ruze wich nach getaner Arbeit zurück und studierte interessiert den Menschen. Die Flohwachen schwärmten aus. Jon-Tom taumelte einige Schritte dem Ausgang entgegen, bevor er zusammenbrach. Eine Hand fuhr an die linke Hinterbacke, wo das Feuer noch immer loderte, während er mit der anderen versuchte, sich vorwärts zu ziehen.
Zuerst spürte er die Kälte in den Beinen. Sie fuhr mit großer Schnelligkeit seine Schenkel empor und breitete sich schließlich im ganzen Körper aus. Es war gar nicht einmal unangenehm. Nur grauenerregend. Als sie seine Schultern erreichte, stürzte er auf den Bauch. Irgendwie schaffte er es, sich auf den Rücken zu drehen. Seine Ellbogen rasteten unmittelbar vor seinen Augen ein, dann auch Handgelenke und Finger.
Das lange, dünne, käferäugige Gesicht des Sprechers erschien vor ihm und musterte ihn von einer großen Höhe herab. Jon- Tom bemühte sich, seine Stimmbänder zum Funktionieren zu bringen.
»Du... hast... mich... belogen.«
»Ich habe dich nicht belogen«, erwiderte der Sprecher ruhig.
»Du wirst nicht sterben. Du wirst lediglich kampfunfähig bleiben.«
»Das... meine... ich... nicht.« Das Sprechen kostete ihn unsägliche Anstrengung. Seine Worte waren schwach und klangen keuchend. »Du hast gesagt... es... täte... nicht... weh.«
Der Sprecher erwiderte nichts und betrachtete ihn weiterhin, als wäre er etwas, das sich unterm Mikroskop schwach rührte.
Jon-Tom überlegte, wie lange die Wirkung der Spritze wohl vorhalten mochte. Wie oft würde er auf der Reise nach Cugluch die feurige Aufmerksamkeit des Ruze noch genießen müssen? Einmal in der Woche? Jeden Morgen? Da war es besser, wenn er eine Möglichkeit fand, sich gleich umzubringen. Aber nicht einmal das konnte er jetzt noch. Seine Lähmung war die Versicherung, die Garantie der Gepanzerten.
Es war schwer auszumachen, ob der Sprecher zufrieden, reumütig oder gleichgültig war. Was das Ruze betraf, so tat es nur seine Pflicht. Es hatte die Dosis mit dem Geschick eines Chirurgen verabreicht.
Zufrieden nickte es mit seinem absurd winzigen Kopf und bedeutete den anderen, daß die Aufgabe, den Gefangenen lahm zulegen, erledigt sei. Der Sprecher wandte sich zu einer Gruppe unbewaffneter Wasserflöhe um, die nahebei geduldig warteten. Jon-Tom spürte, wie ungeschickte, achtlose Hände ihn umdrehten. Er wollte sich wehren, auf seine Peiniger einprügeln, aber alles, was er noch bewegen konnte, waren seine Augen.
Dann legten sie ihn auch schon in den überdimensionalen Glassarg und schickten sich an, ihn dem wartenden Kakerlaken- Ding aufzubürden. Im Inneren des wasserdichten Behälters war es friedlich, still, warm. Er kämpfte gegen seine Schläfrigkeit an: Sie wollten ja, daß er einschlief, also wehrte er sich beharrlich dagegen.
Der Sprecher stand daneben und erteilte Befehle. Jon-Tom wurde emporgehoben, und man verzurrte den Behälter mit dünnen Riemen. Nur an der durch das durchsichtige Material erkennbaren Bewegung konnte Jon-Tom überhaupt feststellen, daß er bewegt wurde, fühlen konnte er nichts.
Dann stürzte er. Der Sarg war
Weitere Kostenlose Bücher