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Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Titel: Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Goettle
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Schicht Gips, und da baue ich gleich meine zwei Fäden ein, mit denen ich dann die Trennunggsfuge herstelle. Und nun muß ich genau den Zeitpunkt abpassen, um die Fäden zu ziehen, bevor der Gips zu fest wird. Nun warte ich auf das Abbinden des Gipses, was an seiner Erwärmung zu spüren ist. Um sicherzugehen, schütte ich ein wenig Wasser drauf, und wenn der Patient dann sagt, es kribbelt, dann ist der Gips abgebunden. Das sind alles Erfahrungssachen. Ja, und dann kommt der Moment der Wahrheit; ich nehme den Gips ab, schau, ob alles gut abgeformt ist, setze dann die Form sofort wieder zusammen und fixiere sie mit ›Gipsschließen‹, damit sie sich nicht verzieht. Ich mache den Patienten wieder sauber, und auch meine Gerätschaften, nehme meine Beute unter den Arm und geh in die Werkstatt.« Auf die Frage, ob bei einem Geschwür denn keine Schmerzen entstehen und ob da nicht Hautteile mit dem Gips abgerissen werden, sagt Frau Walther: »Also, das liegt in der Verantwortung des Arztes, der ja am besten weiß, was er seinem Patienten zumuten kann … Und ob was hängen bleibt? Eigentlich kaum. Also, es ist so, wenn ein Mann viele Haare hat, dann ja. Wenn ich eine Gesichtsabformung mache, dann fette ich die Braue etwas.
    Und als nächstes kommt dann der Wachsguß. Um feinporige Sachen gut rauszukriegen, braucht es eine bestimmte Einstellung des Wachses, man braucht spezielles Wachs, das ›eindringt‹, und genau das war die Schwierigkeit. Diese Wachse, diese Ingredienzien, die waren in der DDR nicht mehr vorhanden. Frau Lippmann benutzte bis 1945 die Rezeptur ihres Lehrers Kolbow, und als sie dann die letzten Bestände aufgebraucht hatte, kam sie mit der Notwendigkeit von Neumischungen nicht mehr zurecht. Und mir war die alte Rezeptur auch kaum mehr nützlich. Es war mir überlassen, eine geeignete Rezeptur zu finden. Es gab kleine Mengen Bienen- und Carnaubawachs, als Importware, und ansonsten mußte ich mich mit Erdwachsen begnügen von ›Leuna‹, die stellten ja viele Wachse her, Paraffin und so was. Für eine repräsentative Moulagensammlung braucht man eigentlich einen hohen Anteil an pflanzlichen Wachsen und an Bienenwachs. Den hatte ich aber einfach nicht zur Verfügung. Also hieß es, herumexperimentieren, prüfen, wie hoch jeweils der Schmelzgrad ist, ob der Gips den Schmelzgrad verträgt, wie ist die Haltbarkeit des Wachses, verfärbt es sich, bleibt es stabil in heißeren Zonen – da wurde viel exportiert, z. B. nach Kuba, dort gibt es auch ein Hygienemuseum. Unsere Produkte sollten ja von langer Haltbarkeit sein. Deshalb habe ich ganze Bücher angelegt und die Mischungen, die Temperaturgrade der einzelnen Grundstoffe zusammengestellt. Und es ist mir gelungen, gute Ergebnisse zu erzielen und eine gute Haltbarkeit, wie sie hier sehen.« Sie zeigt auf die Hand des Röntgenarztes. »Da hatte es Frau Stoiber leichter gehabt, in der Schweiz war die Kontinuität der Materialien eben einfach da, und überhaupt … Gut, also weiter. Mit meinem geschmolzenen Wachs gieße ich dann in der Wachsküche mein Positiv. Zuerst gebe ich nur ein bißchen Wachs in die Form, warte, bis sich das etwas anlehnt, gieße den Rest wieder zurück und wiederhole das so ein- bis zweimal, darf da zwischen aber nicht zu lange warten, sonst verbinden sich die Schichten nicht mehr miteinander. Dann muß das Wachs gut auskühlen für ein paar Stunden, und danach nimmt man es aus der Form. Früher, in den Krankenhäusern, haben die Mouleure ›verlorene Formen‹ gemacht, d. h., sie haben den Gips einfach abgeschlagen von der Wachsform, man brauchte ja nur das Original und keinen weiteren Wachsguß. In unserem Fall aber ist eine sehr gute und gut gepflegte Form das Um und Auf.
    Jetzt habe ich also in Wachs ein Positiv. Wenn alles gutging, gibt’s keine Luftbläschen und nichts zu retuschieren, ich muß ihm also nur noch ›Leben‹ einhauchen. Und nun gehe ich mit meinem Modell, mit Palette, Ölfarben, Terpentin und meinem Feh- und Rindshaarpinsel ins Krankenhaus zur Patientin und male dann nach dem lebenden Vorbild sozusagen. Ich fange mit einem rötlichem Ton an, dann gehe ich noch mal mit einem bläulichen leicht drüber – zart und stupfend, damit die Poren und Hautfältchen nicht zerstört werden –, bis ich die Hautfarbe der Patientin getroffen habe. Und was beim Malen der Wunde sehr wichtig ist, ist eben nicht nur die Wunde selbst, sondern die Übergänge von der Wunde in die normale Haut. Zuletzt werden dann noch, je

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