Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
nach Krankheitsbild, Schuppen aus Wachs, Eiter aus einer gefärbten Wachs-Dammarlack-Mischung, Blasen aus Harz oder nässende Stellen mit Lack vorgetäuscht. Am Ende jedenfalls muß die Moulage aussehen wie ihr Vorbild. Die meisten Patienten waren sehr überrascht, viele waren geradezu stolz. Nun wird die Moulage dem Arzt vorgelegt, der sie empfohlen hat. Er macht die Endabnahme, er gibt ihr sozusagen die wissenschaftliche Weihe. Danach geht sie ein ins Archiv, mit Nummer und allen Karteivermerken. Früher wurden die Moulagen noch mit einer weißen Stoffumrandung versehen und auf einem schwarzen Grundbrett befestigt, traditionell. In der DDR wurde die Stoffumrandung weggelassen, und dann wurde auch ein weißes Grundbrett benutzt, was den optischen Eindruck nicht grade verbessert hat. Jedenfalls konnte ich durch die Arbeit bei Dr. Hering im Krankenhaus Dresden/Friedrichstadt dem Fundus 153 Orginalmoulagen hinzufügen. Ich habe u. a. auch in der Pathologie der Medizinischen Fakultät Leipzig abgeformt, so daß ich auf insgegesamt etwa 180 Moulagen kam. Ich hätte aber viel mehr machen können. Der Kontakt zu den Ärzten wurde dann von der Betriebsleitung her abgebrochen, leider. Originalmoulagen existieren am DHM einzig von Kolbow, von Frau Lippmann und mir. Aber das Zeitaltalter der Moulagen war dann auch vorbei, und das hatte schlimme Folgen für die Bestände, überall.
Ein Beispiel nur: In den 50er Jahren gab es die Idee, doch mal eine Moulagensammlung insgesamt im DHM zu zeigen oder sogar anzulegen. 1958 wurde die Moulagensammlung des Krankenhauses Dresden/Friedrichstadt ins DHM gebracht. Eine sehr gute und gut gepflegte Sammlung, 436 Moulagen, u. a. von Kolbow und Frau Kürschner-Ziegfeld. Die wurden auf Tischen ausgelegt und sollten dann noch mal von Dr. Hering nach dermatologischen Gesichtspunkten geordnet werden. Da lagen sie nun. Damals waren die Ausstellungshallen noch größtenteils leer. Ich wartete auf einen schriftlichen Auftrag, aber es kam keiner. Anfragen ergaben nichts. Gesprochen wurde in anderen Kreisen. Sie blieben da bis 1961 (!) ohne Auftragsvergabe liegen. Eines Tages kam eine Kollegin von mir angerannt und sagte: ›Du, die laden die Moulagen auf.‹ Ich ging nach vorn und guckte mir das an. Das war ein Lastwagen mit Hänger, da wurde, unverpackt (!), alles draufgeworfen wie alter Plunder. Dann fuhren sie ab. Später habe ich gehört, dort ist fast nur Bruch angekommen. Es gibt noch 20 bis 30 Moulagen in schlechtem Zustand. Was das bedeutete, das weiß ich bis heute nicht.« Ihre Stimme ist leidenschaftlich. »Das ist das Schicksal der Sammlung von Friedrichstadt, was mich wahnsinnig aufgeregt hat und bis heute aufregt! Und wenn ich nicht so sehr dagegengearbeitet hätte, zu meinem Nachteil, dann wäre auch im DHM vieles nicht mehr da. Die Moulagen waren einfach ›out‹, man wollte den Bestand auf hundert reduzieren, alles andere sollte weg. Und es ist natürlich auch eine Auslese erfolgt – wie bei der Literatur auch. Es kam der Befehl, das und das ist auszusondern. Da waren ältere Moulagen dabei, von 1914, historische Zeugen, Kriegsverletzungen schlimmster Art, am Gesicht usw., dann waren sehr schlimme Krebserkrankungen dabei. Das ist alles unwiederbringlich vernichtet worden, zusammen mit den Formen. Heute wären diese Moulagen sehr wertvoll, weil es viele dieser Verletzungen und Krankheitsbilder so gar nicht mehr gibt. Ich habe das alles dokumentiert in meinen Aufzeichnungen, sie umfassen die Jahre 1945 bis 1980. Das ist alles unveröffentlicht. Kein Mensch interessiert sich dafür. Später sollte ja sogar die Moulagenabteilung insgesamt geschlossen werden, das wurde dann aber durch einen Ministerbeschluß abgewendet.
Grund dafür war die veränderte Lage durch den Kalten Krieg. Wir haben für die NVA, das Kommando Luftschutz beim Innenministerium und auch fürs Rote Kreuz der DDR Moulagen gemacht von Kampfstoffverletzungen, also Nachbildungen nach Abbildungen. Auch von akuten und chronischen Schädigungen durch radioaktive Strahlung, als Vorlagen dienten Patientenfotos aus Hiroshima. Aus dieser Zeit stammt auch die Hand des Röntgenarztes. Ein Großteil dieser Produktion wurde in der DDR verkauft und an die befreundeten Länder. Aber auch in die westlichen Länder wurde natürlich verkauft, gegen Devisen. Ja, das war sozusagen unsere Rettung. Und durch die Einführung des Industriekautschuks aus Radebeul, Anfang der 60er Jahre, war es mir dann möglich, Gipsformen, die
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