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Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)

Titel: Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Goettle
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Rund-um-die-Uhr-Betreuung, 24 Stunden! Manchmal bewilligen die Ämter erst mal für drei bis vier Wochen. Dann machen wir einen Verlängerungsantrag, den müssen wir wiederum gut begründen. Die Ämter werden natürlich, wie es jetzt allgemein üblich ist, immer sparsamer. Sie machen immer mehr Druck. Krisen müssen jetzt schneller überwunden sein als früher. Wobei ja grade dadurch die Krisen sich verschärfen, bei sehr vielen Leuten. Im ungünstigsten Fall wird die Bezahlung nicht mehr übernommen, und der Betroffene wird in eine Obdachlosenpension gesteckt. Da geht er dann unter mit seinen Problemen, und dort gibt es keinerlei Betreuung. Aber in der Regel sind bei uns Aufenthalte bis zu einem halben Jahr möglich, in Ausnahmefällen auch länger.
    Was ich vergessen habe zu erzählen – es findet bei uns hier immer auch ein Aufnahmegespräch statt, mit beiden diensthabenden Mitarbeitern, und die entscheiden dann, ob derjenige paßt, ob wir ihn aufnehmen können oder nicht. Von vorneherein ausgeschlossen ist die Aufnahme von forensisch Untergebrachten, wir nehmen auch keine Eltern- oder Elternteile mit Kindern auf. Wir sind auch nicht geeignet für Leute, bei denen das Hauptproblem Alkohol- und/oder Drogenabhängigkeit ist. Weil aber viele Psychiatriebetroffene natürlich auch damit Probleme haben, wird auf Grund der individuellen Situation entschieden, sofern sie bereit und in der Lage sind, im ›Weglaufhaus‹ jeglichen Konsum von Drogen und Alkohol zu unterlassen. Beim Aufnahmegespräch wird im Wesentlichen Folgendes geklärt: Entspricht unser Angebot den Bedürfnissen des Betreffenden, hat er die Voraussetzungen für die Kostenübernahme, in welchem Umfang kann er sich am Alltag der Hausgemeinschaft beteiligen, besteht die Bereitschaft, die Grundregeln für das Zusammenleben im ›Weglaufhaus‹ zu akzeptieren und einzuhalten, besteht der Wunsch, psychiatrisch verordnete Psychopharmaka abzusetzen – wobei das natürlich keine Voraussetzung ist, sondern lediglich ein Hilfsangebot von uns. Und wir erklären auch genau, daß wir eine Hausordnung haben und den Nutzungs- und Betreuungsvertrag, das muß sich jeder gut durchlesen und unterschreiben. Und da sind eben solche Sachen geregelt wie, daß es eine Gemeinschaftsessenskasse gibt, in die jeder 3,50 Euro pro Tag geben muß, daß jeder zweimal wöchentlich an den Hausversammlungen teilnehmen muß, denn da werden die gemeinschaftlichen Aufgaben verteilt, wie Einkaufs-, Putz- und Küchendienst. Ansonsten gibt es hier keinen Gemeinschaftszwang, überhaupt wenig Ge- und Verbote. Absolut verboten sind Gewalt und eben Drogen und Alkohol.
    Die zentrale Frage von uns beim Aufnahmegespräch ist: Was ist dein Ziel? Was möchtest du hier erreichen? Also, manche sagen dann, ich möchte meinen Betreuer loswerden; oft sind es auch Leute, die möchten Psychopharmaka absetzen und brauchen dabei natürlich Hilfe und Unterstützung. Die anderen Punkte, Wohnungssuche usw., habe ich ja schon genannt. Wenn diese Punkte alle geklärt sind, nehmen wir den Betreffenden oder die Betreffende – Männer und Frauen halten sich anzahlmäßig so in etwa die Waage – auch sofort auf. Und in diesem aktuellen Moment geht es erst mal um die Entlastung von der Obdachlosigkeit, ums Zur-Ruhe-kommen. Wenn irgend möglich, geben wir den Neuen erst mal ein Einzelzimmer – sie können erst mal Kraft schöpfen, um sich zu stabilisieren, ihre Krise hier in den Griff zu kriegen oder zu überwinden. Vielen hilft es schon sehr, wenn sie die Ordnung der nächsten Schritte erkennen, daß sich in ihrem Leben systematisch was tun wird, was ihre Lage verbessert. Also, man kann sagen, es sind so in etwa vier große Schritte vorwärts: I. Beendigung der Wohnungslosigkeit und Sicherung der sozialen, gesundheitlichen und finanziellen Grundversorgung. II. Verarbeitung von Psychiatrie- und anderen Gewalterfahrungen, aufgefangen werden in einer Krise und das Erlernen von Bewältigungsstrategien künftiger Krisen, Wiederherstellung sozialer Kontakte. III. Perspektiven entwickeln, Organisation des zukünftigen Lebens, Suche nach geeignetem Wohnraum, Beschäftigung, nach speziellen Hilfsangeboten. IV. Aktivierung der Selbständigkeit, Erlernen von Strategien zur Krisenbewältigung und Selbsthilfe, Informiertsein über Rechte und Pflichten usw. Also, das ist eigentlich das Programm, auf das wir uns hier im ›Weglaufhaus‹ spezialisiert haben, und damit sind wir absolut einmalig; wir bieten einen Weg

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