Der Augenblick: Reisen durch den unbekannten Alltag (German Edition)
›die Nutzer‹. Die meisten von uns Aktiven sind ehemalige Nutzerinnen und Nutzer gewesen, ich auch. Ich weiß noch genau, wie ich auf dieses Schild ›Brauchst Du das wirklich, oder bist Du gierig?‹ reagiert habe. Es war so eine Art Schock für mich, ich fühlte mich ertappt.« Sie lacht. »Ich hab’ alles zurückgestellt – Tassen und eine Kanne. Ich habe ja zu Hause Tassen und Kannen, aber diese sind mir irgendwie schöner erschienen. So, und natürlich über die Gespräche, bin ich dann dazu gekommen. Und nun versuche ich, das Konzept den Nutzern näherzubringen, was oft nicht ganz leicht ist. Es gibt natürlich viele Mißverständnisse. Also, wir sind kein Tauschring, kein ökologisch orientiertes Recycling-Dienstleistungsunternehmen. Wir sind auch keine caritative Einrichtung, die Bedürftige versorgt. Wir werden krachsauer, wenn das Sozialamt einem Sozialhilfeempfänger was ablehnt und ihm dann rät, in den Umsonstladen zu gehen und es sich dort zu holen. Das ist nicht das, was wir wollen. Wir machen nichts für den Staat. Und wir sind auch keine ehrenamtlichen Helfer. Wir leisten Widerstand gegen die Geldmacht, und hier drin wird das Geld entmachtet, sozusagen. Das ist unser Anliegen.
Und das wird eben manchmal nicht ganz verstanden. Was auch häufig vorkommt, ist, daß dieser Laden mißverstanden wird als günstige Bezugsquelle. Leute kommen jeden Freitag und nehmen ein elektrisches Gerät mit. Alles, was einen Stecker hat. Und da weiß man dann, denn jede Woche braucht man keinen Computer oder einen Toaster, daß diese Leute die Sachen verkaufen. Und dann gehen wir auf sie zu, sprechen sie direkt darauf an. Also, mir persönlich fällt diese Rolle nicht leicht: zu sagen, stop! Diese Sache stell bitte zurück, die bleibt hier, weil ich denke, du hast schon genug davon mitgenommen, du brauchst sie nicht, ein anderer aber schon. Da entstehen natürlich oft Situationen, daß man angegriffen wird, verbal. Soweit es möglich ist, wird diskutiert, mitunter haben wir Erfolg, mitunter nicht. Ein anderes Mißverständnis ist, daß Bedürftigkeit nachgewiesen werden muß, per Sozialschein, aber das ist schnell geklärt. Hierher kann jeder kommen, Sie können im Prinzip auch mit dem Porsche vorfahren, sollten Sie was brauchen.« Sie lacht kurz. »Aber wir sehen natürlich die Entwicklung; viele der Nutzer haben über die Jahre einen sozialen Abstieg gemacht, das wird durch Hartz IV noch beschleunigt. Hier gegenüber ist der Volkspark, und wenn’s kalt ist, dann kommen die Alkoholiker, die Obdachlosen, sag ich mal, hier in den Laden, wärmen sich auf, trinken Tee, essen Kekse. Also, ich habe da schon ein Problem, zu sagen, warum wir das nicht wollen, zu sagen, wir sind keine Wärmestube. Also, bitte, wenn du Wärme suchst, wenn du Kekse suchst, dann geh dorthin, wo dieses Angebot so gemeint ist. Die Adressen sind ja bekannt, und hier im Hinterhof gibt es eine Volksküche, wo man also für ganz wenig Geld essen kann.Wir geben Hinweise, aber wir sind konsequent. Ebenso bei den psychisch Kranken, die hier manchmal reinkommen und massiv Gespräche suchen. Das wollen und das können wir auch nicht leisten, wir geben Hinweise, wo es Hilfe gibt, das ja. Aber wir müssen einfach hart sein, sonst sind wir im Handumdrehen die Wärmestube für das ganze Wohngebiet hier, und das geht einfach nicht. Dafür sind wir nicht zuständig. Da komme ich mir dann natürlich ein Stück weit schlecht vor, bei dieser Härte. Und dann brauche ich das Plenum und die Gespräche mit den Aktiven, um das loszulassen, daß wir eben keine caritative Einrichtung sind. Wir sind auch kein Gebrauchtwarenladen, aber letztlich haben wir zwangsläufig von allem ein bißchen dabei.
Aber man muß natürlich wissen, was man will, und seine Pappenheimer kennen. Da gibt’s z. B. eine Familie, das sind fünf Personen, Mutter etwa fünfzig, mit Sohn und Tochter um die zwanzig, ein Baby im Kinderwagen und ein Freund. Macht bei drei mal fünf fünfzehn Dinge. Und es ist ja auch Eigeninitiative gefragt hier; die gehn also nach hinten, machen Tee, setzen sich hier hin und warten auf die Dinge, die frisch reingebracht werden. Die Tochter rafft und packt dann einfach alles schnell in den Wagen, sie nimmt besonders ›schöne‹ Dinge, wie Monopoly, Scrabble, eine Kaffeemaschine, Kindersachen sowieso. Ich habe mir das angeschaut und dachte: Wieso muß sie so viel nehmen? Sie hat es einfach nicht begriffen, bzw. sie entmachtet uns mit ihrer Anzahl von Leuten.
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