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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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dass er Sie einen Bimbo genannt hat –, das ist eine wahnsinnige Unverschämtheit.«
    Je näher sie Bournemouth kamen, desto mehr be-dauerte es Jonathan, dass er zugestimmt hatte, sie zu begleiten. Mit Anfeindungen und Beleidigungen in dieser oder jener Form hatte er von Kindheit an leben müssen. Sie hatten ihn zu einem tief gehemmten Menschen gemacht, aber sie machten ihm keine Angst. Angst hatte er vor offener Auseinandersetzung.
    Du bist so ein Feigling, Jon – es ist richtig peinlich. Wann wirst du endlich mal für dich selbst eintreten?
    »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe«, sagte er plötzlich.
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    George, der schon aufgefallen war, dass er immer schweigsamer geworden war, war nicht überrascht.
    Zwei Gläser Wein hatten seine Hemmungen vorü-
    bergehend so weit gelöst, dass er im Stande gewesen war, die Herausforderung anzunehmen, aber dieser angetrunkene Mut hatte die fünfzehnminü-tige Fahrt nicht überdauert.
    »Er wird jeder Konfrontation ausweichen, solange er irgend kann«, hatte Andrew Spicer sie gewarnt, »und Ihnen immer wieder erklären, dass seine Stärke die dokumentarische Recherche ist.
    Er wird Berge von Unterlagen auftürmen, bevor er es auf eine direkte Auseinandersetzung mit Roy Trent ankommen lässt. Es ist reine Vermeidungs-taktik.«
    »Und was will er vermeiden?«
    »In eine Situation zu geraten, über die er keine Kontrolle hat … Gefühle der Unzulänglichkeit …
    Angst. Was musste ich reden, bis ich ihn so weit hatte, dass er bereit war, sich in Bournemouth mit Ihnen zu treffen.«
    »Aber wieso denn?«
    Andrew hatte mit den Schultern gezuckt. »Er kannte Sie nicht und wusste nicht, was er zu erwarten hatte. Im Umgang mit Fremden fühlt er sich offenbar wie ein Fisch auf dem Trockenen.«
    »Ist das Schüchternheit?«
    »Nur zum Teil. Er ist als Schuljunge schrecklich gehänselt und gepiesackt worden und ist seit-377

    her äußerst misstrauisch – er wittert hinter allem gleich Zurückweisung.«
    »Wie Howard.«
    Andrew hatte genickt. »Nur sind Jons Narben nicht sichtbar und ich denke, das macht es ihm umso schwerer. Er hat keinen offenkundi-gen Grund, sich als Außenseiter zu fühlen – au-
    ßer seiner Hautfarbe. Deshalb stellt er sich als Rassismusopfer dar. Das ist einfacher, als zugeben zu müssen, dass er in Wirklichkeit den Spott der anderen fürchtet.«
    George reagierte auf Jonathans Bemerkung erst, als sie eine Seitenstraße entdeckte, die ihr erlaubte, von der Hauptstraße abzubiegen. Hinter einem dort geparkten Auto hielt sie an. »Was meinen Sie damit? Was glauben Sie, nicht schaffen zu können?«
    »Mit Roy Trent zu reden.« Er rieb sich das Gesicht heftig mit beiden Händen.
    »Warum nicht?«
    »Wir wissen doch gar nichts. Was wollen wir denn zu ihm sagen?«
    Sie sah ihn einen Moment lang an, ohne daran zu zweifeln, dass er wirklich Angst hatte. »Ich werde ihm erzählen, was ich von William Burton über die Vergewaltigung erfahren habe«, sagte sie ruhig und sachlich, »und ihm dann auf den Kopf zusagen, dass meiner Meinung nach er und seine Freunde Colley Hurst und Micky Hopkinson die Täter waren.«
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    »Das wird ihm nicht gefallen.«
    »Soll mich das kümmern?«, fragte George mit einem belustigten Lachen.
    »Er wird es abstreiten. Sie haben keinen Beweis gegen ihn.«
    »Ich habe nicht vor, ihn festzunehmen, Jonathan, ich will ihm lediglich zeigen, was ich weiß, und sehen, was dann passiert.«
    Er ließ die geballten Hände sinken und schlug sie mehrmals gegeneinander. »Ich verstehe nicht, was es für einen Sinn haben soll, ihn zu warnen, bevor es unbedingt nötig ist. Was ist, wenn er in die Luft geht?«
    »Sie sollten mehr Angst haben, dass ich gleich in die Luft gehe«, entgegnete sie milde. »Vergewalti-gung ist für mich mit das Schlimmste, was es gibt, Jonathan, noch dazu die Vergewaltigung eines Kindes. Wäre Cill meine Tochter gewesen – wäre ich an Jean Trevelyans Stelle gewesen –, ich hätte mich vor dreiunddreißig Jahren vor Roy Trents Haustür gehockt und wäre nicht gewichen und gewankt, bis er zu der Tat gestanden hätte. Und dann hätte ich ihn umgebracht. Er kann froh sein, dass er es nicht mit mir zu tun hatte.«
    Jonathan starrte sie verzweifelt an. »Ich kann es nicht.«
    Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Was fürchten Sie? Dass er handgreiflich wird? Das hoffe ich sogar – dann zeige ich ihn wegen Körperverletzung 379

    an. Aber genau aus diesem Grund wird er es nicht tun.«
    Jonathan schüttelte den Kopf. »Das

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