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Der Außenseiter

Der Außenseiter

Titel: Der Außenseiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters
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erschienen wären. Sie blieben mit offenen Mündern stehen und hörten Georges Vorwürfen zu.
    »Los, in die Küche«, befahl er George und Jonathan kurz. »Und du …«, er wies auf das Mädchen. »Mach, dass du wieder hinter den Tresen kommst. Das hier geht dich überhaupt nichts an.«
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    Aber so leicht ließ Tracey sich nicht vertreiben.
    »Soll ich die Polizei anrufen?«
    »Nein.«
    Mit neugierigem Gesicht wandte Tracey sich George zu. Vielleicht fühlte sie sich nach den Bemerkungen über eine Vergewaltigung solidarisch mit der Frau, vielleicht mochte auch sie einfach ihren Chef nicht besonders. »Alles in Ordnung?
    Geht’s Ihnen gut? Hat Ihnen jemand was getan?«, fragte sie.
    George schüttelte den Kopf. »Nein, im Moment ist alles in Ordnung, Tracey, aber wenn es noch mehr Geschrei gibt, sollten Sie vielleicht doch die Polizei anrufen. Wir sind nicht hergekommen, weil wir streiten wollen, aber wenn Leute die Beherrschung verlieren, ufern die Dinge leicht aus.«
    »Das kann man sagen«, bestätigte das Mädchen
    mit Nachdruck. Sie warf einen letzten Blick auf Roy, in den Augen einen Anflug von Spott, als wäre etwas zur Sprache gekommen, was ihr bestens bekannt war. »Also dann, bis nachher.«
    Roy nickte kurz und schloss die Tür, aber es dauerte eine Weile, ehe er etwas sagte. Er stand mit gesenktem Kopf, den Blick zu Boden gerichtet. Offensichtlich überlegte er sich, was er tun sollte. Jonathan, dem der Erfolg Auftrieb gegeben hatte, wollte den Vorteil nutzen, aber George legte einen Finger auf die Lippen und bat ihn so, sich still zu verhalten. Ab und zu knarrten im oberen 430

    Stockwerk die Dielenbretter, ob allerdings aus natürlicher Ursache, weil das Holz arbeitete, oder unter den verstohlenen Schritten eines Lauschers, ließ sich nicht sagen.
    Als Roy schließlich sprach, wirkte er völlig ruhig.
    »Von Rechts wegen sollte ich Ihnen meinen Anwalt auf den Hals hetzen«, sagte er aufblickend. »Sie haben mich vor meinen Gästen und meinem Personal verleumdet. Es stimmt, dass die Polizei mich gemeinsam mit Colley und Mick in Verbindung mit der Vergewaltigung von Cill Trevelyan befragt hat, aber wir hatten nichts damit zu tun, und es gab keinen einzigen Beweis für das Gegenteil. Das Mädchen, das der Polizei die Hinweise geliefert hatte, wusste die Namen der Täter nicht und hat uns nicht identifiziert. Am Ende …«, er zuckte mit den Schultern, »war die Polizei nicht einmal mehr sicher, ob überhaupt eine Vergewaltigung stattgefunden hatte.«
    Er trat von der Tür weg und griff nach seinen Zigaretten, die auf dem Tisch lagen. »Ich will gar nicht behaupten, dass wir Unschuldslämmer waren. Das waren wir weiß Gott nicht. Wir brachten alle um uns herum zur Verzweiflung, uns selbst eingeschlossen. Die Schule haben wir nur von au-
    ßen gekannt – lesen konnten wir keinen Strich –, wir hatten immer irgendwas vor.« Er neigte seinen Kopf zum Feuerzeug hinunter. »Alkohol war so ziemlich das Einzige, was das Leben erträglich 431

    machte, und wenn wir keinen gekriegt haben, haben wir den Kick mit extremeren Mitteln gesucht. In der Hinsicht waren wir nicht anders als Howard.« Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Jonathan. »Sie haben neulich gesagt, er hätte keine andere Möglichkeit gehabt, als sich in sich selbst zu verkriechen. Wir waren nicht viel anders. Wir haben ähnliche Sachen gemacht – dabei haben wir uns allerdings weniger selbst was angetan, obwohl das auch vorgekommen ist.« Er spannte seine Finger an und ließ sie wieder locker. »Mick war der Schlimmste, er hat sich immer Spiralen in den Handrücken geschnitten. Aber meistens haben wir andere als Zielscheibe genommen.« Er verzog zynisch den Mund. »Es fällt mir nicht leicht, das zu sagen, und Sie wollen es wahrscheinlich nicht hören, aber es war ein gutes Gefühl, wenn ein anderer gelitten hat. Es hieß, dass wir nicht die Einzigen mit einem Scheißleben waren.«
    Er hielt kurz inne und zog an seiner Zigarette.
    »Wir waren hundsgemein zu Howard«, sagte er abrupt. »Jahrelang – es hat angefangen, als wir noch kleine Knirpse waren und er ein Teenager. Er hat nicht weit von uns in derselben Straße gewohnt, und wir haben ihm die ganze Zeit die Hölle heiß gemacht. Mick hat ihn immer mit seinem Messer in den Rücken gestochen – oft hat’s geblutet, bis Howard sich dann eine Lederjacke zugelegt hat.
    Es war eben so verdammt einfach. Er war so ein 432

    erbärmlicher Wicht.« Wieder konzentrierte er sich ganz auf Jonathan.

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