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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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und Hofdamen mitzubringen. Teils tat er das, um in aller Öffentlichkeit kundzutun, daß nicht einmal die höchstgeborene aller Frauen ungestraft sündigen könne. Aber er hatte noch einen anderen Grund. Die Angeklagte war die Tochter des mächtigsten Herrschers in Der Einen Welt, des aufbrausenden und kriegerischen Verehrten Sprechers Ahuítzotl von den Mexíca. Indem er ihn und alle höchsten Würdenträger jedes anderen Volkes einlud, wollte Nezahualpíli auch noch kundtun, daß das Verfahren im Geiste absoluter Gerechtigkeit geführt werde. Aus diesem selben Grunde nahm Nezahualpíli selbst übrigens nur als Beobachter an der Verhandlung teil. Das Verhör von Verteidigern und Zeugen übertrug er zwei persönlich nicht beteiligten Männern: seiner Weiblichen Schlange, Herrn Stark Knochen, und einem Tlamatini-Richter namens Tepitzic.
    Der Saal des Gerichtsgebäudes von Texcóco war bis auf den letzten Platz besetzt. Vielleicht war es die größte Versammlung von – befreundeten, neutralen und verfeindeten – Herrschern, die jemals an einem Ort stattgefunden hatte. Einzig Ahuítzotl erschien nicht. Er konnte sich unmöglich der Schande ausliefern, von allen angegafft, bemitleidet und bespöttelt zu werden, während unerbittlich das schändliche Tun seiner Tochter ans Tageslicht gezerrt wurde. Statt dessen schickte er die Weibliche Schlange von Tenochtítlan. Unter den vielen anderen großen Herren, die an der Verhandlung teilnahmen, befand sich auch der Tecútli von Xaltocan, Pactlis Vater Rot Reiher. Gebeugten Hauptes saß er während der gesamten Verhandlung da und ließ die Demütigung über sich ergehen. Nur wenige Male hob er die traurigen und verquollenen alten Augen auf und sah dann jedesmal mich an. Vermutlich dachte er dabei an etwas, was er vor langer, langer Zeit gesagt hatte, als ich in meiner Kindheit anfing, meinen besonderen Ehrgeiz zu entwickeln: »Welchen Beruf du auch einmal ausüben wirst, junger Mann, du wirst es weit darin bringen.«
    Das Verhör sämtlicher beteiligter Personen befaßte sich mit allen Einzelheiten und zog sich sehr in die Länge, was ermüdend war und wobei es häufig auch zu Wiederholungen kam. Ich erinnere mich nur an die aufschlußreichsten Fragen und Antworten, die ich Euer Exzellenz gern wiederholen will. Die Hauptangeklagten waren selbstverständlich Jadestein Puppe und Herr Freude. Pactli wurde als erster aufgerufen; bleich und mit schlotternden Knien sprach er den Eid. Unter den vielen anderen Worten, die von den Untersuchungsrichtern an ihn gerichtet wurden, waren auch diese:
    »Páctlitzin, Ihr seid von der Palastwache auf dem Gelände ergriffen worden, welches zum Flügel der Dame Chálchiunenetzin gehört. Diesen Bereich, der den Hofdamen vorbehalten ist, zu betreten, ist für jeden Mann ein Schwerverbrechen, aus welchem Grunde und unter welchem Vorwand auch immer. Seid Ihr Euch darüber im klaren?«
    Er schluckte vernehmlich und sagte mit schwacher Stimme: »Ja.« Damit war sein Schicksal besiegelt.
    Jadestein Puppe war die nächste, die aufgerufen wurde; eine von den unzähligen Fragen, die an sie gerichtet wurden, hatte eine Antwort zur Folge, bei welcher ein Raunen durch die Zuhörer ging. Es war Richter Tepitzic, der sprach:
    »Ihr habt gestanden, daß es die Arbeiter in Eurer Küche waren, welche Eure Liebhaber umbrachten und ihre Skelette präparierten, um sie für den Bildhauer herzurichten. Wir meinen, daß selbst die niedrigsten und abgebrühtesten Sklaven diese Arbeit nur unter äußerstem Druck getan haben können. Mit welchen Mitteln habt Ihr sie dazu bewogen?«
    Mit ihrer Kleinmädchenstimme sagte sie: »Lange vorher habe ich meine Wachen in der Küche Posten beziehen lassen. Sie sollten darauf achten, daß die Küchenarbeiter nichts zu essen bekamen und nicht einmal von dem kosteten, was sie für mich kochten. Ich habe sie solange hungern lassen, bis sie sich einverstanden erklärten – alles zu tun, was ich befahl. Nachdem sie es erst einmal getan und sich dabei hatten satt essen können, bedurfte es weder Überredung noch Drohung und auch keiner Wachen mehr in der Küche …«
    Der Rest ihrer Worte ging in der allgemeinen Erregung unter. Mein kleiner Sklave Cozcatl erbrach sich und mußte für eine Weile hinausgebracht werden auf den Gang. Ich wußte, wie ihm zumute war, denn auch mir war ganz flau im Magen. Unser Essen war aus derselben Küche gekommen.
    Als Hauptmitverschwörer von Jadestein Puppe kam als nächster ich an die Reihe. Ich legte

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