Der Azteke
durchtrennen, da entriß die Wucht des Wassers ihm das noch zuckende Kind, dieses riß sich selbst von seinem kleinen Herzen los und kam durch die Rinne auf die Stadt zugeschossen wie ein Geschoß durch ein Blasrohr. Das Herz in der Hand, stand Ahuítzotl da wie vom Donner gerührt.
Alle, die wir uns auf dem Damm drängten, standen bis auf unsere heftig im Wind flatternden Umhänge, Banner und Federkopfputz wie aus Stein gehauen. Dann merkte ich, daß ich bis zu den Knöcheln im Wasser stand – genau wie alle anderen auch. Ahuítzotls Frauen fingen an zu kreischen. Das Pflaster unter uns stand bereits unter Wasser, das rasch höher stieg. Es rannte bei der Abbiegung des Aquädukts immer noch gegen die Brüstung, und die ganze Feste Acachinánco bebte unter der Wucht seines Anpralls.
Doch gleichviel – der größere Teil des Wassers raste weiterhin durch die Rinne auf die Stadt zu und schoß mit einer derartigen Gewalt dahin, daß es sich beim Auftreffen auf die Abzweigungen am Stadtrand wie Brandungswellen an einem Strand brach. Durch meinen Kristall hindurch konnte ich erkennen, wie die dichtgedrängten Zuschauer im Gischt- und Wasserschauer durcheinander wurlten und miteinander kämpften, um das Weite zu suchen. In der ganzen Stadt – was wir freilich nicht sahen – flossen die Kanäle und neugebauten Versorgungsbecken über, ergossen sich in die Straßen und flossen zuletzt in die Kanäle. Die neuen Springbrunnen auf dem Großen Platz stiegen jubelnd in so große Höhe, daß die Wassersäulen nicht zurückfielen in die Auffangbecken, welche man um sie herum gebaut hatte. Das Wasser breitete sich rings um sie herum aus und bedeckte bald die riesige Fläche des gesamten Herzens Der Einen Welt.
Die Chalchihuítlicué-Priester brachen in vielstimmige Gebeteaus, ihre Göttin anzuflehen, der Überfülle des Wassers Einhalt zu gebieten. Ahuítzotl herrschte sie an zu schweigen und bellte ein paar Namen heraus: »Yolcatl! Papaquiliztli!« – die Namen der Männer, welche den neuen Quell entdeckt hatten. Diejenigen, die anwesend waren, wateten gehorsam durch die nunmehr kniehohen Fluten, wußten nur allzu gut, warum sie gerufen worden waren, und lehnten sich rücklings über die Brüstung. Ohne irgendwelche rituellen Worte oder Gebärden trennten Ahuítzotl und die Priester ihnen die Brust auf, rissen den Männern die Herzen heraus und warfen sie in das wie rasend vorübereilende Wasser. Acht Männer wurden in diesem Akt der Verzweiflung geopfert zwei davon altehrwürdige Mitglieder des Staatsrats – doch fruchtete das nicht im mindesten.
Deshalb schrie Ahuítzotl: »Laßt die Schleusen herunter!«, und ein paar Pfeilritter sprangen auf die Brüstung zu. Sie packten das hölzerne Schott, um die Wasserflut zu bändigen, und senkten es in die dafür vorgesehenen Seitenschlitze. Doch trotz heftigsten gemeinsamen Bemühens und trotz ihres gesamten Gewichts, mit dem sie sich daraufstützten, drückte die mächtige Strömung das Schott im Schlitz zur Seite, so daß es festgeklemmt wurde. Einen Augenblick herrschte Schweigen auf dem Damm, man hörte nichts als das Rauschen und Gurgeln des Wassers, das Seufzen und Stöhnen des Ostwinds, das Knacken der holzgebauten Feste unter dem Ansturm der Fluten und den gedämpften Lärm der Menge, welche am Ende der Insel auseinanderhastete. Der Verehrte Sprecher sah aus wie ein geschlagener Mann, sein ganzer Federschmuck hatte sich mit Wasser vollgesogen und war erschlafft, als er so laut sagte, daß alle wir es hören konnten:
»Wir müssen zurück in die Stadt und sehen, welcher Schaden dort angerichtet worden ist und was wir tun können, um die Panik in den Griff zu bekommen. Pfeil- und Jaguarritter, kommt mit uns. Ihr werdet sämtliche Acáltin der Insel zusammenziehen und sofort nach Coyohuácan hinüberrudern. Die Narren dort drüben feiern vermutlich immer noch weiter. Tut alles, was ihr könnt, um dem Wasser Einhalt zu gebieten oder es an seiner Quelle abzuleiten. Adlerritter, bleibt hier!« Er zeigte auf die Stelle, wo der Aquädukt auf den Damm stieß. »Zerschlagt ihn! Dort! Sofort!«
Es entstand einige Verwirrung, als die Gruppen mit den unterschiedlichen Aufträgen sich entwirrten und zusammenfanden. Dann wateten Ahuítzotl, seine Frauen und sein Gefolge, die Priester und die Adligen, die Pfeil-und Jaguarritter in Richtung Tenochtítlan davon, so rasch ihnen das bei dem mittlerweile kniehoch stehenden Wasser möglich war. Wir Adlerritter standen ein wenig ratlos vor
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