Der Azteke
der einheimischen Bevölkerung oder späteren Vorüberziehenden nicht ohne weiteres ausgegraben werden konnten. Sie mußten ihre Verstecke mit irgendwelchen Zeichen gekennzeichnet haben, welche nur ihnen selbst etwas sagten. Und keiner ihrer Mexíca-Abkommen, zu denen auch ich gehörte, hatte eine Ahnung, um was für Zeichen es sich gehandelt haben könnte.
Gleichwohl schnitt ich mir einen langen, kräftigen Stecken, spitzte ihn an und stocherte damit tief in jedem auffälligen Merkmal des Geländes herum, das möglicherweise nicht bereits seit der Erschaffung der Welt dagewesen war: verdächtig abgelegene Erdbuckel, auffällig wucherndes Gebüsch, die eingefallenen Überreste alter Gebäude. Ich weiß nicht, ob mein Tun und Verhalten die Einwohner amüsierte oder ob Mitleid in ihnen sich regte für diesen fremden Verrückten, oder ob es einfach ihre Neugier weckte; jedenfalls forderten sie mich zuletzt doch auf, Platz zu nehmen und den beiden ehrwürdigsten Ältesten zu erklären, worum es mir eigentlich gehe.
Diese alten Männer beantworteten meine Fragen so schlicht und in so knappen Worten wie nur möglich. Nein, sagten sie, sie hätten nie von einem Ort Atlitalácan gehört, doch wenn der Name das gleiche bedeutete wie D'ntado Dehé, handele es sich offenbar um ein und denselben Ort. Denn ja, durchaus, laut den Vätern der Väter ihrer Väter habe sich ein verwahrloster, roher und abgerissener Stamm von Fremden an dem Quell niedergelassen – und dort ein paar Jahre hindurch gelebt –, ehe er weitergezogen und nach Süden entschwunden sei. Als ich mich äußerst behutsam nach irgendwelchen möglichen Grabungen oder Lagerstätten erkundigte, schüttelten die beiden betagten Männer den Kopf. Sie sagten n'yéhina, was soviel bedeutete wie Nein, und sprachen dann noch einen Satz, welchen ich sie mehrere Male zu wiederholen bat, ehe es mir unter Mühen gelang, zu verstehen, was sie damit sagen wollten:
»Die Azteca sind hiergewesen, aber sie haben nichts mitgebracht und haben nichts zurückgelassen, als sie fortzogen.«
Nach nur wenigen Tagen hatte ich jene Gebiete hinter mir, in denen auch noch die letzten Spuren eines verballhornisierten Náhuatl oder Pore gesprochen wurde, und befand mich in einer Region, in der ausschließlich otomite sprechende Otomi lebten. Die Otomi-Männer sind kleine, untersetzte, vierschrötige und – wie die meisten Bauern – mürrische und unfreundliche Burschen. Die Otomi-Frauen sind zwar auch klein, jedoch von schlanker Gestalt und weit lebhafter als ihre sauertöpfischen Männer. Ich würde diese Frauen sogar hübsch nennen – von den Knien aufwärts – was, wie mir sehr wohl klar ist, ein merkwürdiges Kompliment ist. Was ich meine ist, daß sie einnehmende Gesichter haben, hübsch gerundete Schultern, Arme und Brüste, Hüften, Gesäß und Oberschenkel; die Waden und Fesseln unterhalb der Knie hingegen sind enttäuschend gerade und mager. Sie laufen gleichsam spindelförmig nach unten zu bis zu ihren winzigen Füßen, und das verleiht diesen Frauen das Aussehen von Kaulquappen, die auf ihren Schwänzen laufen.
Eine weitere Besonderheit der Otomi besteht darin, daß sie ihr Aussehen mit Hilfe einer Kunst verschönern – oder sich zumindest einbilden, das zu tun –, welche sie N'detade nennen, was soviel bedeutet, wie mit dauerhaften Farben färben. Sie färben sich die Zähne schwarz oder rot oder abwechselnd rot und schwarz. Sie verzieren ihren Körper mit Mustern aus blauer Farbe, welche mit Dornen in die Haut hineingedrückt wird, so daß die Bilder nicht mehr fortgehen. Einige schmücken sich nur mit kleinen Verzierungen auf der Stirn oder einer Wange, andere hingegen unterwerfen sich ständig weiter dieser N'detade auf ihrem gesamten Körper, so oft sie den Schmerz ertragen können. Sie scheinen ständig halb unter dem Netz einer sonderbaren Spinne verborgen, welche ihr Netz blau spinnt.
Was mich betrifft, so macht dieser Schmuck die Otomi-Männer weder schöner noch ist er ihnen abträglich. Eine Zeitlang hielt ich es für eine Schande, daß so viele von den ansonsten hübschen Frauen ihre Schönheit hinter diesen Netzen und Wirbeln und anderen Mustern verbergen, welche sie nie wieder abstreifen können. Als ich mich jedoch an die N'detade gewöhnt hatte, muß ich gestehen, betrachtete ich sie mit anderen Augen und sah darin eine feine Art, auf sich aufmerksam zu machen. Diese Art von Verschleierung machte diese Frauen in gewisser Weise unerreichbar und
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