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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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infolgedessen zu einer Herausforderung, ja, zu einer Qual …
    Im äußersten Norden der Otomi-Lande lag an einem Fluß das Dorf M'boshte, und eine der Einwohnerinnen war eine junge Frau namens R'zoöno H'donwe, was soviel bedeutet wie Mond Blume. Und eine Blume war sie in der Tat: Alles, was von ihr zu sehen war, war über und über mit blaugestochenen Blüten, Blättern und Zweigen bedeckt. Unter diesem künstlichen Gerank besaß sie ein hübsches Gesicht und einen Körper von großer Wohlgestalt – bis auf die enttäuschenden Fesseln, versteht sich. Sah man sie zum erstenmal, war man versucht, ihre Kleider auseinanderzunehmen und festzustellen, wieviel von ihr nun blütenblättrig an ihr war und dann durch die Blütenblätter hindurch bis zu der Frau selbst vorzustoßen.
    Mond Blume fühlte sich von mir gleichfalls angezogen und zwar, wie ich vermute, so ziemlich auf die gleiche Art. Was sie empfand, war der Drang, etwas Ungewohnt-Besonderes zu genießen, da meine Größe und Breite, die selbst unter den Mexíca ungewöhnlich war, mich unter den Otomi geradezu zu einem Riesen machte. Sie vertraute mir an, im Augenblick unterhalte sie keinerlei Beziehung zu irgendeinem anderen Mann, denn sie sei vor kurzem verwitwet, da ihr Mann im R'donte Sh'mboi, dem Schieferfluß, umgekommen sei, der an dem Dorf vorbeiplätschere. Da das Wasser dieses Baches nur etwa eine Spanne tief war und überdies so schmal, daß ich fast hätte hinüberspringen können, meinte ich, ihr Mann müsse schon sehr klein gewesen sein, wenn er darin hätte ertrinken können. Darüber mußte sie lachen, erklärte mir aber dann, er sei gefallen und habe sich den Kopf am Schiefer des Flußbettes aufgeschlagen.
    So kam es, daß ich die eine Nacht, welche ich in M'boshte verbrachte, mit Mond Blume zusammen war. Zwar kann ich es nicht von den anderen Otomi-Frauen sagen, doch diese war an jeder möglichen Stelle ihres Körpers mit N'detade geschmückt – eine Ausnahme bildeten nur die Lippen, ihre Lider, die Fingerspitzen und die Brustwarzen. Ich erinnere mich noch, darüber nachgedacht zu haben, wie entsetzlich sie gelitten haben müsse, als der heimische Künstler die Blumenmuster bis ganz nahe heran an ihre zarten Tipili-Gewebe hineingestochen hatte. Denn im Laufe der Nacht bekam ich jede, aber auch jede Blüte zu sehen, welche sie auf der Haut trug. Die Paarung wird auf otomite Agui n'degue genannt und begann – oder zumindest wollte Mond Blume, daß es so begann – mit der Untersuchung, dem Nachziehen und Liebkosen, ja, Auskosten auch noch des letzten Blütenblatts jeder einzelnen Blume ihres Körpergeranks. Ich kam mir vor wie ein Hirsch, der auf einer süßen und üppigen Weide äste, und ich fand, Hirsche müßten in der Tat sehr glückliche Tiere sein.
    Als ich am nächsten Morgen aufbrechen wollte, gab Mond Blume mir zu verstehen, sie hoffe, durch mich schwanger geworden zu sein, was ihr bei ihrem verstorbenen Mann nie gelungen sei. Ich lächelte und glaubte, sie wolle mir nur ein Kompliment machen, doch dann vertraute sie mir auch noch den Grund für diesen Wunsch an. Ich sei ein großer Mann, und infolgedessen könne das Kind gleichfalls zu stattlicher Größe heranwachsen und demzufolge viel Hautfläche aufweisen, welche durch eine Fülle schöner N'detade-Bilder geschmückt werden könne; damit wäre es dann eine Seltenheit, welche wiederum M'boshte zum Neid aller anderen Otomi-Gemeinden machen würde. Ich seufzte und machte mich auf den Weg.
    Solange mein Weg mich am Ufer des R'donte Sh'mboi entlangführte, war das Land grün von Gras und Blättern und mit dem Rot, Gelb und Blau vieler Blüten gesprenkelt. Drei oder vier Tage später bog der Schieferfluß jedoch nach Westen ab, entfernte sich damit von meiner nach Norden führenden Route und nahm all das kühle und lebhafte Grün mit. Vor mir lagen immer noch graugrüne Mizquitin-Bäume und die silbergrünen Yucca-Palmlilien-Gruppen sowie ein dichtes Gewirr von staubiggrünem Unterholz, aber ich wußte, daß die Bäume und Büsche nach und nach spärlicher werden und weiter auseinander stehen würden, je weiter ich nach Norden hinaufkam, bis sie in der offenen und sonnenversengten, nahezu völlig unfruchtbaren Wüste schließlich ganz verschwinden würden.
    Einen Augenblick hielt ich inne, war ich versucht, kehrt zu machen, doch dem Fluß zu folgen und im gemäßigten Otomi-Land zu bleiben, doch gab es für mich keine Entschuldigung, das zu tun. Der einzige Grund meiner Reise war, die

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