Der Azteke
Coatlicamac und die Cupilco – weiter im Landesinneren lebten. Seine Kette von männlichen Sklaven war wirklich eine Kette: Sie reisten und ruhten, aßen und schliefen sogar alle zusammengekettet durch ein langes Seil, welches durch die durchbohrte Nasenscheidewand eines jeden einzelnen von ihnen hindurchgeführt worden war. Die Frauen und Mädchen freilich durften sich frei bewegen, um solche Arbeiten wie Lageraufschlagen, Feuermachen, Kochen, Wasserholen, Holzsammeln und so weiter erledigen zu können. Als ich müßig umherging und die Ware betrachtete, trat bescheiden ein junges Mädchen mit einem Krug und einer Kalebassenschöpfkelle auf mich zu und fragte freundlich:
»Möchte der Herr Adlerritter vielleicht einen Schluck kühlen Wassers? Auf der anderen Seite des Feldes fließt ein Fluß, der ins Meer geht, und ich habe diesen Krug schon vor geraumer Zeit hineingehalten und gefüllt, so daß sich alle Unreinheiten gesetzt haben werden.«
Während ich trank, schaute ich sie über die Kalebasse hinweg an. Offenkundig handelte es sich um ein Mädchen aus dem Hinterland, klein und schlank, freilich nicht sonderlich sauber, und in ein knielanges Gewand aus billigem Sackstoff gekleidet. Aber sie war weder häßlich von Gesicht, noch von dunkler Hautfarbe; vielmehr mußte man sie – auf eine weiche und noch unreife Weise – eigentlich recht ansprechend nennen. Auch kaute sie nicht, wie sonst jede andere Frau rings umher, Tzictli und war offenbar auch nicht ganz so blöde, wie man hätte erwarten sollen.
»Du hast mich auf Náhuatl angesprochen?« sagte ich. »Wieso kommt es, daß du diese Sprache sprichst?«
Das Mädchen setzte ein tief bekümmertes Gesicht auf und murmelte: »Man kommt viel herum, wenn man immer wieder gekauft und verkauft und gekauft wird. Das ist jedoch immerhin etwas, wobei man sich eine gewisse Bildung aneignet. Meine Muttersprache ist das Coatlicamac, Gebieter, aber ich habe einige Maya-Dialekte gelernt und die Handelssprache Náhuatl.«
Ich fragte sie nach ihrem Namen. »Ce-Malinali«, sagte sie.
»Ein Gras?« sagte ich. »Das ist aber nur ein Kalenderdatum und nur die Hälfte eines Namens.«
»Ja«, seufzte sie mit trauerumflortem Blick. »Selbst Sklavenkinder, die von Sklaveneltern geboren werden, bekommen am Namensgebungstag einen neuen Namen. Ich jedoch habe nie einen bekommen, Gebieter. Ich bin weniger als eine sklavengeborene Sklavin. Ich bin ein Waisenkind von Geburt an.«
Sie erklärte es genauer. Ihre unbekannte Mutter war eine Coatlicamatl-Schlampe gewesen, die von irgendeinem der vielen Männer schwanger geworden war, für die sie die Beine gespreizt hatte. Die Frau hatte sie irgendwann, während sie draußen auf dem Feld arbeitete, geboren – genauso gleichgültig, wie sie ihre Notdurft verrichtet haben mochte –, und hatte ihr Neugeborenes dort liegen lassen, genauso gleichgültig, wie sie ihren Kot hätte liegen lassen. Irgendeine andere, weniger herzlose, vielleicht aber selber kinderlose Frau hatte das ausgesetzte Baby gefunden, ehe es zugrunde gegangen war, hatte es mit nach Hause genommen und durchgebracht.
»Aber wer diese freundliche Retterin war, weiß ich nicht mehr«, sagte Ce-Malinali. »Ich war noch ein Kind, als sie mich verkaufte – für Mais zum Essen –, und seither bin ich von einem Besitzer zum anderen gekommen.« Sie setzte das Gesicht eines Menschen auf, welcher lange gelitten hat und doch durchgekommen ist. »Ich weiß nur, daß ich am Tage Ein Gras des Jahres Fünf Haus geboren wurde.«
»Nein«, rief ich. »Das ist ja derselbe Tag und dasselbe Jahr, an dem meine eigene Tochter in Tenochtítlan geboren wurde. Sie hieß gleichfalls Ce-Malináli, bis sie an ihrem siebenten Geburtstag den Namen Zyanya-Nochipa erhielt. Du bist klein für dein Alter, Kind, dabei bist du genauso alt wie …«
Erregt fiel das Mädchen mir in die Rede. »Warum kauft Ihr mich denn dann nicht, Gebieter, als Dienerin und Gefährtin für Eure Dame Tochter!«
»Ayya«, murmelte ich voller Trauer. »Diese andere Ce-Malináli … sie ist gestorben … vor fast drei Jahren …«
»Dann kauft mich als Hausmädchen«, drängte sie. »Oder Euch aufzuwarten, wie Eure Tochter es getan hätte. Nehmt mich mit Euch, wenn Ihr zurückkehrt nach Tenochtítlan. Ich tue jede Arbeit oder« – züchtig senkte sie die Augen – »erweise Euch jeden untöchterlichen Dienst, den mein Gebieter von mir verlangen könnte.« Ich nahm neuerlich einen Schluck aus der Schöpfkelle und prustete
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