Der Azteke
wandte mich nach links, blickte blinzelnd durch meinen Topas und erkannte denselben verhutzelten, abgerissenen, kakaobraunen Mann, dem ich schon so oft in meinem Leben begegnet war. Ich wandte mich nach rechts und sah einen etwas besser gekleideten, doch staubbedeckten und erschöpften Mann, den ich nicht ganz so oft zuvor gesehen. Eigentlich hätte ich wohl erschrocken sein, aufschreien und davonlaufen müssen, doch gluckste ich nur trunken in mich hinein in dem Wissen, daß sie nur Trugbilder waren, erzeugt durch den vielen Octli, den ich genossen. Immer noch glucksend, wandte ich mich an sie beide:
»Verehrungswürdige Gebieter, hättet Ihr nicht mit Eurem Urbild unter der Erde verschwinden müssen?«
Der kakaobraune Mann grinste und ließ die wenigen Zähne sehen, welche er noch hatte. »Es hat eine Zeit gegeben, da du uns beide für Götter gehalten hast. Von mir dachtest du, ich sei Huehuetéotl, Der Älteste Der Alten Götter, derjenige, welcher lange vor all den anderen in diesen Landen verehrt wurde.«
»Und mich hast du für Yoáli Ehécatl gehalten«, sagte der Staubbedeckte. »Den Herrn Nacht Wind, der nächtliche Wanderer, welche nicht auf der Hut sind, entführt oder sie belohnt, je nachdem, wie ihm der Sinn gerade steht.«
Ich nickte und beschloß, sie ernst zu nehmen, wiewohl sie nur Trugbilder waren. »Es stimmt, meine Gebieter, einst war ich jung und leichtgläubig. Doch dann erfuhr ich von Nezahualpílis Vorliebe, in Verkleidung durch die Welt zu ziehen.«
»Und das hat dich dazu gebracht, nicht mehr an die Götter zu glauben?« fragte der Kakaomann.
Ich hatte einen Schluckauf und sagte: »Laßt es mich so sagen: Ich habe nie irgendwelche andere getroffen außer Euch beiden.«
Dunkel murmelte der staubbedeckte Mann: »Es könnte sein, daß die richtigen Götter sich nur dann zeigen, wenn sie im Begriff stehen abzutreten.«
Ich sagte: »Dann verschwindet besser dorthin, wo Ihr hingehört. Nezahualpíli kann nicht sonderlich glücklich sein, die schaurige Straße ins Mictlan entlang zu ziehen, solange noch zwei Verkörperungen von ihm auf der Erde wandeln.«
Der Kakaomann lachte: »Vielleicht können wir es nicht ertragen, dich zu verlassen, alter Freund. Wir sind so lange Zeit hindurch damit beschäftigt gewesen, Wohlergehen und Geschick deiner verschiedenen Verkörperungen zu verfolgen: als Mixtli, als Maulwurf, als Kopf Neiger, als Hole!, als Záa Nayàzú, als Ek Muyal, als Su-kuru …«
Ich unterbrach ihn und sagte: »Ihr erinnert Euch meiner Namen besser als ich selbst.«
»Dann erinnere dich unserer Namen!« erklärte er ziemlich scharf. »Ich bin Huehuetéotl, und das hier ist Yoáli Ehécatl.«
»Wo Ihr doch nichts weiter als Erscheinungen seid«, brummte ich, »seid Ihr aber von einer vertrackten Hartnäckigkeit und Aufdringlichkeit. So betrunken wie jetzt, bin ich seit langem nicht gewesen. Es muß schon sieben oder acht Jahre her sein. Und ich erinnere mich … ich sagte damals, daß ich irgendwann und irgendwo einem Gott begegnen und ihm dann eine Frage stellen würde. Ich wollte ihn folgendes fragen: Warum haben die Götter mich so lange leben lassen, während sie jeden anderen Menschen, der mir jemals nahegestanden hat, niedergestreckt haben? Meine liebe Schwester, meine liebe Frau, meinen neugeborenen Sohn und meine Tochter, über der ich gewacht habe wie über meinen Augapfel, soviel enge Freunde, selbst flüchtige vergängliche Lieben …«
»Diese Frage läßt sich leicht beantworten«, sagte die abgerissene Erscheinung, welche sich selbst Ältester Der Alten Götter nannte. »Diese Menschen waren gleichsam Hammer und Meißel, mit denen du geformt wurdest; sie wurden zerbrochen oder beiseitegeworfen. Du jedoch mitnichten. Du hast allen Schlägen, allen Meißelstößen und allen Versuchen, dich zu glätten, standgehalten.«
Ich nickte mit dem Ernst der Betrunkenen und sagte: »Wenn das keine betrunkene Antwort ist, habe ich nie eine gehört.«
Die staubbedeckte Erscheinung, welche sich selber Nacht Wind nannte, sagte: »Ausgerechnet du, Mixtli, solltest doch wissen, daß ein Standbild oder ein Denkmal nicht schon fix und fertig aus einem Steinbruch herauskommt. Es muß mit Axt und Meißel bearbeitet, mit Obsidiangrus geschliffen und dadurch gehärtet werden, daß man es Wind und Wetter aussetzt. Und erst, wenn sie herausgemeißelt, gehärtet und geglättet sind, sind sie von Nutzen.«
»Nutzen?« sagte ich schroff. »Jetzt, wo sich das Ende meiner Wege und Tage
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