Der Azteke
ausgesucht und ihm blutsmäßig verbunden – ihm keine sonderliche Hilfe war. Cacáma wurde von seinen Untertanen weder geliebt noch gefürchtet, und sein Ruf nach Freiwilligen verhallte praktisch ungehört. Selbst als er diesem Aufruf schließlich eine unnachgiebige Aushebung folgen ließ, stellten sich vergleichsweise nur wenige Männer, die sich in der Schlacht auch noch als recht schwunglos erwiesen. Andere Acólhua, welche sonst gewiß eifrig zu den Waffen gegriffen hätten, schützten vor, sie seien während Nezahualpílis Friedensjahren alt geworden oder krank, oder sie hätten inzwischen viele Kinder bekommen und wären daher nicht abkömmlich. In Wahrheit hielten sie alle noch dem Kronprinzen die Treue, in dem sie ihren eigentlichen Verehrten Sprecher sahen.
Als Schwarz Blume Texcóco verließ, begab er sich irgendwo in den Bergen weit im Nordosten auf einen anderen Landsitz seiner Familie, wo er begann, diesen zu einer befestigten Garnison auszubauen. Neben den Edelleuten und ihren Familien, welche freiwillig in die Verbannung mit ihm gegangen waren, schlossen sich ihm noch viele andere Acólhua an: Ritter und Krieger, welche früher unter seinem Vater gedient hatten. Noch andere, die nicht ständig ihr Zuhause oder ihre Berufe im Herrschaftsgebiet von Cacáma verlassen konnten, suchten in Abständen immer wieder Schwarz Blumes Bergfeste auf, um dort mit den anderen Truppen zu üben. Alle diese Tatsachen waren mir damals genausowenig bekannt wie den meisten anderen Menschen. Es war ein wohlgehütetes Geheimnis, daß Schwarz Blume sich langsam aber sorgfältig rüstete, dem Usurpator den Thron wieder zu entreißen, selbst wenn das bedeutete, daß er dieserhalb gegen den gesamten Dreibund würde kämpfen müssen.
An Motecuzómas Gemütsverfassung, die man auch in den besten Zeiten nur als giftig bezeichnen konnte, änderte sich inzwischen nichts. Er argwöhnte, daß er in der Achtung der anderen Herrscher durch sein herrisches Eingreifen in die Angelegenheiten von Texcóco tief gesunken war. Er fühlte sich gedemütigt durch den letzten Fehlschlag, die Texcaltéca endlich zu schlagen. Er war nicht sonderlich mit seinem Neffen Cacáma zufrieden. Und dann – als hätte er nicht schon genug Sorgen und Ärger – begannen viel schlimmere Dinge.
Nezahualpílis Tod hätte fast so etwas wie ein Signal sein können, auf welches hin sich seine düstersten Vorhersagen erfüllten. In dem Mond Der Baum Wird Aufgerichtet, der auf seine Bestattung folgte, traf ein Schnellbote aus dem Mayaland mit der beunruhigenden Nachricht ein, daß die merkwürdigen weißen Männer wieder nach Kutz Uluümil gekommen seien, diesmal jedoch nicht nur zwei von ihnen, sondern hundert. Sie waren in drei Schiffen gekommen, hatten vor der Hafenstadt Kimpéch festgemacht und waren mit ihren großen Kanus an Land gerudert. Die Bewohner von Kimpéch, diejenigen, welche nicht den Blattern zum Opfer gefallen waren, hatten sie ohne Widerstand landen lassen. Doch die weißen Männer waren dreist in einen Tempel eingedrungen und hatten begonnen, ohne jede vorherige Ankündigung und ohne irgendwelche Erlaubnis, den Tempel allen goldenen Zierats zu berauben, woraufhin die Bevölkerung nun doch zu den Waffen gegriffen hatte.
Oder es zumindest versucht, berichtete der Bote, denn die Waffen der Krieger von Kimpéch glitten klirrend von den metallenen Körpern der weißen Männer ab, und die weißen Männer stießen einen Kriegsschrei – »Santiago!« – aus und schlugen mit den Stecken zurück, welche sie bei sich getragen und keineswegs einfache Knüppel oder Stangen gewesen seien. Diese Stecken spien Donner und Blitz wie der Gott Chak, wenn er zornig ist, und viele Maya wurden in großer Entfernung von den feuerspeienden Stecken zu Boden gestreckt. Heute wissen wir selbstverständlich alle, daß der Schnellbote versuchte, die Stahlpanzer und die auf große Entfernung tötenden Arkebusen oder Hakenbüchsen zu beschreiben, doch damals klang das, was er berichtete, völlig verwirrt.
Immerhin brachte er zwei Dinge mit, um seinen Bericht zu untermauern. Zum einen handelte es sich um eine Aufstellung der Toten auf Borkenpapier: über zweihundert Männer, Frauen und Kinder von Kimpéch; zweiundvierzig von den Fremden – ein Beweis dafür, daß Kimpéch einen mutigen Kampf gegen die furchtbaren neuen Waffen gekämpft hatte. Auf jeden Fall hatte die Verteidigung die Eindringlinge zurückgeworfen. Die weißen Männer hatten sich in ihre Kanus
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