Der Azteke
Mexíca-Kriegern Posten bezogen. Als ich Prinz Weide fand und dieser mir mit umdüsterter Miene die Neuigkeit unterbreitete, fragte ich mich nachgerade, ob meine nächtliche Begegnung wirklich nur ein Traum gewesen sei. Denn die Nachricht lautete, daß Motecuzóma etwas sehr Niedriges und etwas Unerhörtes getan habe.
Wie ich schon gesagt habe, gehörte es zu den unverletzlichen Traditionen, daß feierliche Zeremonien wie die Bestattung eines Herrschers nicht durch Attentate oder andere verräterische Machenschaften besudelt wurden. Wie ich gleichfalls gesagt habe, war das Heer der Acólhua von dem verstorbenen Nezahualpüi so gut wie aufgelöst worden, und die wenigen Truppen, welche noch unter Waffen standen, waren nicht in einem Bereitschaftsstand, daß sie irgendwelche Eindringlinge hätten zurückwerfen können. Wie ich des weiteren gesagt habe, hatte Motecuzóma zur Bestattung seine Weibliche Schlange und seinen Oberbefehlshaber Cuitláhuac gesandt. Was ich jedoch nicht gesagt habe, weil ich es nicht wußte, war, daß Cuitláhuac mit einem Kriegs-Acáli gekommen war, welches mit sechzig ausgesuchten Mexíca-Kriegern bemannt war, die er heimlich außerhalb von Texcóco hatte von Bord gehen lassen.
In dieser Nacht, während ich in meiner Trunkenheit mit meinen Trugbildern des Gesprächs gepflogen – oder mit mir selbst gesprochen hatte –, hatten Cuitláhuac und seine Truppe die Palastwache vertrieben, die Gebäude besetzt, und die Weibliche Schlange hatte alle, welche hier Unterkunft gefunden hatten, zusammengerufen und ihnen eine Verlautbarung verlesen. Kronprinz Schwarz Blume werde nicht zum Nachfolger seines Vaters gekrönt werden. Motecuzóma habe als Oberster Herrscher des Dreibunds angeordnet, daß die Krone von Texcóco statt dessen an den weiter unten in der Nachfolge stehenden Prinzen Cacáma, Mais Kolben, gehe, den zwanzigjährigen Sohn einer von Nezahualpílis Konkubinen, welche nicht zufällig Motecuzómas jüngere Schwester war.
Einen solchen Zwang und eine solche Nötigung hatte es noch nie gegeben, es war unerhört und verwerflich, doch ließ sich nichts dagegen unternehmen. So bewundernswert Nezahualpílis Befriedungspolitik grundsätzlich auch gewesen sein mochte – durch sie war sein Volk beklagenswert unvorbereitet gewesen, sich Motecuzómas Einmischung in seine inneren Angelegenheiten zu widersetzen. Kronprinz Schwarz Blume führte sich auf wie ein wutschnaubender schwarzer Bär, doch mehr konnte er auch nicht tun. Oberbefehlshaber Cuitláhuac war kein böser Mensch, obwohl er Motecuzómas Bruder war und seinen Befehlen gehorchte. Er brachte dem abgesetzten Prinzen gegenüber sein Mitgefühl zum Ausdruck und riet ihm, ruhig irgendwo hinzugehen, ehe Motecuzóma auf den sehr naheliegenden Gedanken kam, ihn gefangen nehmen und beseitigen zu lassen.
Folglich reiste Schwarz Blume noch am selben Tage in Begleitung seines persönlichen Hofstaats, seiner Diener und Wachen sowie einer Anzahl Adliger ab, die zutiefst empört waren über die Wendung, welche die Ereignisse genommen hatten. Sie alle schworen laut Rache für den Verrat, welcher durch ihren langjährigen Bundesgenossen an ihnen verübt worden war. Alle anderen in Texcóco konnten nur in ohnmächtiger Wut schäumen und mußten sich mit der Krönung von Motecuzómas Neffen Cacámatzin zum Uey-Tlatoáni der Acólhua abfinden.
Ich blieb nicht bis zu dieser Zeremonie. Ich war ein Mexícatl, und Mexícatl waren im Augenblick nun einmal nicht sonderlich gern gelitten in Texcóco, und ich war auch nicht sonderlich stolz darauf, ein Mexícatl zu sein. Selbst mein alter Schulkamerad, Weide, betrachtete mich nachdenklich und überlegte wohl, ob ich eine verschleierte Drohung ausgesprochen haben mochte, als ich ihm sagte: »Motecuzóma wird deinen Bruder nicht mehr lieben als deinen Vater.« Folglich reiste ich ab und kehrte nach Tenochtítlan zurück, wo die Priester jubelnd in fast jedem Tempel besondere Riten veranstalteten, um »unseres Verehrten Sprechers kluge List« zu feiern. Und Cacamatzins Gesäß hatte sich kaum auf dem Thron von Texcóco gewärmt, da verkündete er eine Abkehr, ja Umkehrung der Politik seines Vaters: Er ließ neue Acólhua-Truppen ausheben, um seinem Onkel Motecuzóma zu helfen, neuerlich eine Streitmacht gegen das ewig befehdete Texcála aufzustellen.
Auch diesem Krieg war kein Erfolg beschieden, was vornehmlich an Motecuzómas neuem jungen und kriegerischen Verbündeten lag, welcher – wiewohl persönlich
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