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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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unter sich und seinen Unterbefehlshabern aufteilen solle. Neunzehn von den Mädchen seien bereits vom Tabascoöb persönlich ausgesucht worden als die begehrenswertesten Jungfrauen im unmittelbaren Umkreis. Sie seien nicht allzu glücklich gewesen, sich ins Lager der Fremden zu begeben. Das zwanzigste Mädchen habe sich jedoch selbstlos freiwillig gemeldet, damit die Zahl zwanzig voll werde, eine rituelle Zahl, welche geeignet schien, die Götter zu bewegen, den Olméca fürderhin solche Heimsuchungen zu ersparen. Also hätten die weißen Männer ihre Beute an Gold und jungen Frauen in ihre großen Kanus geladen und von diesen in ihre größeren schwimmenden Häuser, schloß der Cupilcatl, und dann hätten, wie alle glühend gehofft hatten, diese Häuser ihre Flügel entfaltet und sich nach Westen aufgemacht. Das sei am Tage Dreizehn Blume geschehen, und sie hätten sich nahe der Küste gehalten.
    Motecuzóma knurrte noch mehr; die Angehörigen seines Staatsrats steckten die Köpfe zusammen und beratschlagten sich, und der Palastkämmerer führte den Boten hinaus.
    »Verehrter Sprecher«, sagte eines der Ratsmitglieder schüchtern, »wir haben das Jahr Ein Rohr.«
    »Vielen Dank«, sagte Motecuzóma säuerlich. »Das ist nun etwas, was ich bereits wußte.«
    Ein anderer alter Mann sagte: »Aber vielleicht ist dem Verehrten Sprecher bislang entgangen, welche Bedeutung das möglicherweise hat. Zumindest aus einer Legende geht hervor, daß Ein Rohr das Geburtsjahr des Quetzalcóatl war, in welchem er in seiner menschlichen Gestalt geboren wurde und in der er Uey-Tlatoáni der Toltéca werden sollte.«
    Und noch einer meinte: »Als Ein Rohr bezeichnet man infolgedessen auch jenes Jahr, in welchem Quetzalcóatl sein erstes aus zweiundfünfzig Jahren bestehendes Schock Jahre vollendete. Und – wieder laut Legende – war es dieses Jahr, in welchem er von seinem Widersachergott Tezcatli-póca verführt wurde, sich zu betrinken, so daß er, ohne es zu wollen, abscheulich sündigte.«
    Und noch ein weiterer sagte: »Die große Sünde, welche er in der Trunkenheit beging, bestand darin, daß er seiner eigenen Tochter beiwohnte. Als er am Morgen neben ihr erwachte, brachte seine Reue ihn dazu, abzudanken und allein auf seinem Floß auf dem Ost-Meer zu verschwinden.«
    Und noch ein anderer sagte: »Doch noch als er abfuhr, gelobte er wiederzukommen. Versteht Ihr, Hoher Gebieter? Die Gefiederte Schlange wurde im Jahr Ein Rohr geboren und verschwand im nächsten Jahr mit der Bezeichnung Ein Rohr. Zugegebenermaßen ist das nur eine Legende, und andere Legenden geben andere Daten an; außerdem gehen alle Legenden viele, viele Schock Jahre zurück. Da wir uns jedoch wiederum in einem Jahr Ein Rohr befinden, liegt da nicht der Gedanke nahe …«
    Er sprach den Satz nicht zu Ende, da Motecuzómas Gesicht nahezu ebenso weiß geworden war wie das eines weißen Mannes. Was er gehört hatte, verschlug ihm die Sprache. Vielleicht lag das daran, daß die Aufzählung dieses zufälligen Zusammentreffens von Ereignissen unmittelbar auf das folgte, was der Schnellbote berichtet hatte: daß die Männer, welche von jenseits des Ost-Meeres kamen, offensichtlich beabsichtigten, seine eigene Stadt zu suchen. Vielleicht war er aber auch bleich geworden, da er den feinen Hinweis begriffen hatte, daß eine Ähnlichkeit bestehe zwischen ihm und Quetzalcóatl, welcher aus Scham ob seiner eigenen Sünde dem Thron entsagt hatte. Motecuzóma hatte mittlerweile von seinen verschiedenen Frauen und Konkubinen zahlreiche Kinder unterschiedlichen Alters bekommen, und seit einiger Zeit gingen sonderbare Gerüchte um über eine angebliche Beziehung mit zweien oder dreien seiner eigenen Töchter. Der Verehrte Sprecher hatte im Augenblick reichlich viel, worüber er nachdenken mußte, doch jetzt kam wieder der Palastkämmerer herein, küßte die Erde und bat um Erlaubnis, die Ankunft weiterer Boten melden zu dürfen.
    Es handelte sich urn eine Abordnung von vier Männern aus dem Totonáca-Land von der Ostküste, welche ihrerseits die Ankunft jener elf Schiffe voller weißer Männer dort meldeten. Das Eintreffen der Totonáca-Abgesandten, unmittelbar nachdem der Cupücatl-Bote gegangen war, stellte ein weiteres beunruhigendes zufälliges Zusammentreffen dar, wenn dieses auch nicht unerklärlich war. Rund zwanzig Tage waren vergangen, seitdem die Schiffe die Olméca-Lande verlassen und vor der Küste der Totonáca-Lande eingetroffen waren; letztere lagen aber nahezu

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