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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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ihrer mutmaßlich ranghöchsten Männer ihn besucht und eine Frau mitgebracht, welche mit ihnen an Land gekommen war. Sie sei weder weiß noch habe sie einen Bart, berichteten die Sendboten, sondern sei eine Frau von einem Volk aus den Olméca-Landen. Im Palast von Tzempoálan hätten die Besucher Patzinca Geschenke überreicht: einen Stuhl von eigentümlicher Machart, viele bunte Perlen, einen Hut aus einem schweren, flauschigen roten Tuch. Die Besucher hätten dann verkündet, sie kämen als Abgesandte eines Herrschers namens Reykárlos und eines Gottes namens Herrgott und einer Göttin namens Unsere Liebe Frau.
    Jawohl, ehrwürdige Patres, ich weiß. Ich wiederhole ja nur, wie die Totonácatl ihn in ihrer Unwissenheit aussprachen.
    Sodann fragten die Besucher Patzinca eingehend nach den Verhältnissen in seinem Land aus. Welchen Gott er und sein Volk verehre? Ob es hier viel Gold gebe? Ob er selbst ein Kaiser oder König oder nur ein Vizekönig sei? Patzinca war zwar ziemlich verwirrt von den vielen unbekannten Wörtern, welche bei dieser Befragung verwendet wurden, stand jedoch Rede und Antwort, so gut er konnte. Unter den zahllosen Göttern, die es gebe, erkennten er und sein Volk Tezcatlipóca als den höchsten an. Er selbst sei Herrscher aller Totonáca, sie jedoch drei mächtigeren Völkern weiter im Landesinneren Untertan, von denen das Volk der Mexíca unter dem Verehrten Sprecher Motecuzóma das mächtigste sei. Gerade jetzt, vertraute Patzinca den Fremden an, weilten fünf Beamte des Schatzmeisters der Mexíca in Tzempoálan, um die Liste der Tribute durchzugehen, welche die Totonáca in diesem Jahre zu entrichten hätten …
    »Ich möchte mal wissen«, sagte einer der Angehörigen des Staatsrats plötzlich, »wie diese Befragung geführt wurde? Wir haben zwar gehört, daß einer der weißen Männer die Mayasprache spricht. Aber keiner von den Totonáca spricht etwas anders als seine eigene Sprache und unser Náhuatl.«
    Der Worterinnerer machte ein verdutztes Gesicht. Er räusperte sich und hob wieder ganz von vorn an: »Am Tage Acht Alligator, Verehrter Sprecher …«
    Gereizt funkelte Motecuzóma den unseligen Staatsratsangehörigen an, der unterbrochen hatte, und zischte zwischen zusammengebissenen Zähnen: »Jetzt kannst du an Altersschwäche sterben, ehe dieser Dummkopf jemals soweit kommt, es zu erklären.«
    Woraufhin der Totonácatl sich abermals räusperte. »Am Tage Acht Alligator …«, und wir alle saßen da und rutschten unruhig hin und her, während er nochmals die ganze Meldung herunterratterte, bis er wieder an dem Punkt angelangt war, wo wir Neues erfuhren. Und was wir erfuhren, war so aufschlußreich, daß sich das Warten fast gelohnt hatte.
    Die fünf hochmütigen Mexíca-Tributeintreiber, so berichtete Patzinca den weißen Männern, seien außerordentlich zornig auf ihn, weil er sie – die Fremden – willkommen geheißen habe, ohne zuvor die Erlaubnis ihres Verehrten Sprechers Motecuzóma einzuholen. Infolgedessen hätten sie zu den bisherigen Tributforderungen noch die Lieferung von zehn halbwüchsigen Totonáca-Knaben und zehn jungfräulichen Totonáca-Mädchen hinzugefügt, welche zusammen mit der Vanille und dem Kakao und den anderen Waren nach Tenochtítlan geschickt werden sollten, damit sie dort geopfert werden könnten, wenn die Mexíca-Götter solche Opfer verlangten.
    Als er dies hörte, habe der Häuptling der weißen Männer vor Empörung geschnaubt, laut sein Entsetzen bekundet und Patzinca bestürmt, das solle er nicht tun, sondern statt dessen die fünf Mexíca-Beamten ergreifen und einsperren lassen. Als der Herr Patzinca sich entsetzt gezeigt und gezögert habe, Hand an Motecuzómas Leute zu legen, habe der weiße Häuptling ihm versprochen, seine weißen Soldaten würden die Totonáca vor jeder Vergeltung schützen. Folglich habe Patzinca, wenn auch angstschwitzend, den entsprechenden Befehl gegeben. Die fünf Beamten seien in einen kleinen, durch Schlingpflanzen zusammengehaltenen Käfig eingesperrt worden: Dort hätten die Worterinnerer sie, ehe sie nach Tenochtítlan aufgebrochen seien, gesehen; man habe sie alle fünf hineingestopft wie Truthähne, die zum Markt gebracht werden sollten und ihre Federumhänge seien beklagenswert zerzaust und zerrupft gewesen – von ihrem Gemütszustand ganz zu schweigen.
    »Das ist unerhört!« rief Motecuzóma und vergaß sich. »Den Fremden kann man vielleicht verzeihen, denn schließlich kennen sie unsere Tributgesetze

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