Der Azteke
unsichtbaren und doch schmerzhaften Nadeln, welche sich ihnen in die Finger, Lippen und Zungen bohrten, unerträglich fänden. Doch bewirkt die Kaktusfeige noch etwas anderes. Jeder, der ihr rotes Fruchtfleisch genießt, scheidet einen womöglich noch leuchtenderen roten Urin aus; und jemand, der diesen für Blut hält, kann zu Tode erschrocken sein und fürchten, von einer tödlichen Krankheit befallen zu sein.
Falls der Ceiba-Saft irgendeinen von den weißen Männern dick machte, so zumindest keinen so fett, daß er bewegungsunfähig gewesen wäre. Und wenn die weißen Männer über die Tonáltin-Nadeln fluchten und sie Entsetzen packte, wenn sie meinten, Blut auszuscheiden, so hielt sie das gleichermaßen nicht davon ab weiterzumarschieren. Vielleicht gewährten ihre Barte ihnen Schutz gegen die Nadeln, und soweit ich weiß, schieden sie immer rotgefärbten Urin aus. Viel wahrscheinlicher jedoch ist es, daß die Frau Malintzin, die sehr wohl wußte, wie leicht ihre neuen Gefährten vergiftet werden könnten, genau acht gab auf das, was sie aßen und ihnen zeigte, wie man Tonáltin aß und ihnen sagte, was man hinterher zu gewärtigen hätte. Auf jeden Fall drangen die weißen Männer unerbittlich weiter nach Westen vor.
Als Motecuzómas Mäuse ihm meldeten, daß die Zauberer nichts hätten ausrichten können, brachten sie gleichzeitig aber noch beunruhigendere Nachrichten. Cortés' Truppe zog durch die Lande vieler kleiner Stämme, welche dort in den Bergen lebten, Stämme wie die Tepeyahuáca, die Xica und andere, welche nie sonderlich erfreut gewesen waren, dem Dreibund Tribut zu zahlen. In jedem Dorf riefen die mitmarschierenden Totonáca-Krieger aus: »Kommt! Schließt euch uns an! Schart euch um Cortés! Er führt uns an, uns von dem gehaßten Motecuzóma zu befreien!« Und alle diese Stämme stellten bereitwillig viele Krieger zur Verfügung. So kam es, daß, wiewohl inzwischen etliche weiße Männer in Tragstühlen getragen werden mußten, weil sie von ihren strauchelnden Pferden gefallen waren und sich dabei verletzt hatten, und wiewohl viele von den Tiefland-Totonáca zurückgeblieben waren, weil sie in der dünnen Hochlandluft Atembeschwerden bekamen, Cortés' Truppe nicht kleiner wurde, sondern an Stärke immer mehr zunahm.
»Jetzt hört Ihr es, Verehrter Bruder!« bestürmte Cuitláhuac Motecuzóma. »Diese Elenden wagen es sogar, sich damit zu brüsten, sie kämen, sich Euch persönlich entgegenzustellen. Wir haben jede Entschuldigung, über sie herzufallen, und jetzt ist der Augenblick, dies zu tun. Wir brauchen weder ihre Tiere noch ihre Waffen zu fürchten. Ihr könnt jetzt nicht mehr sagen: Wartet!
»Ich sage: Wartet!« erwiderte Motecuzóma unerschütterlich. »Und dazu habe ich guten Grund. Wenn wir abwarten, retten wir viele Menschenleben.«
Cuitláhuac fauchte ihn buchstäblich an: »Sagt mir, wann in unserer gesamten Geschichte ist auch nur ein einziges Menschenleben gerettet worden?«
Motecuzóma sah verstimmt aus und sagte: »Nun denn, ich sage, es soll nicht das Leben eines einzigen Mexícatl-Kriegers vergeudet werden. Wisse dies, Bruder! Diese Fremden nähern sich jetzt der Ostgrenze von Texcála, jenes Landes, das bis jetzt die schlimmsten Angriffe selbst von uns Mexíca abgeschlagen hat. Es wird auch nicht bereit sein, einen Feind von einer anderen Hautfarbe willkommen zu heißen, der aus einer anderen Richtung kommt. Sollen doch die Texcaltéca gegen die Eindringlinge kämpfen. Wir Mexíca werden mindestens in zweierlei Hinsicht unser Gutes davon haben. Die weißen Männer und die Totonáca werden ganz bestimmt vernichtet werden; aber ich bin gleichfalls sicher, daß die Texcaltéca so große Verluste erleiden werden, daß wir unmittelbar hinterher über sie herfallen und ihnen eine endgültige Niederlage beibringen können. Sollten noch irgendwelche weißen Männer am Leben bleiben, werden wir sie pflegen und ihnen Unterkunft geben. In ihren Augen wird es sich dann so darstellen, daß wir ausschließlich gekämpft haben, um sie zu retten. Damit erringen wir uns ihre Dankbarkeit und die von König Carlos. Und wer weiß, was wir noch Gutes davon haben werden? Infolgedessen werden wir also warten.«
Wenn Motecuzóma dem Herrscher von Texcála, Xicoténca, vertraulich mitgeteilt hätte, was wir über die Kampfkraft aber auch über die schwachen Seiten der weißen Männer in Erfahrung gebracht hatten, wären die Texcaltéca bestimmt so klug gewesen, diese irgendwo in ihren steilen
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