Der Azteke
können. Ein Pferd, glaube ich, stürzte, ein paar Spanier wurden durch den ersten Pfeilhagel verwundet, und ein paar andere trugen durch glückliche Maquahuime-Schläge etwas schwerere Wunden davon; getötet wurde von ihnen jedoch keiner und lange kampfunfähig war auch keiner von ihnen. Als die Texcaltéca soweit geflohen waren, daß sie nicht mehr verfolgt werden konnten, schlugen Cortés und seine Männer mitten auf dem Schlachtfeld ihr Lager auf, um ihre wenigen Wunden zu verbinden und den Sieg zu feiern.
Bedenkt man die furchtbaren Verluste, welche die Texcaltéca erlitten haben, muß man es ihnen hoch anrechnen, daß sie sich nicht sofort Cortés ergaben. Die Texcaltéca waren ein tapferes, stolzes und trotziges Volk. Unseligerweise glaubten sie unerschütterlich an die Unfehlbarkeit ihrer Seher und Zauberer. Infolgedessen waren es diese Männer, mit denen ihr Oberbefehlshaber Xicoténca sich noch am Abend des Tages der Niederlage beriet und der sie fragte:
»Sind diese Fremden wirklich Götter, wie gemunkelt wird? Sind sie wirklich unbesiegbar? Gibt es eine Möglichkeit, ihre flammen spuckenden Waffen zu überwinden? Soll ich noch mehr gute Männer opfern und überhaupt noch weiterkämpfen?«
Nachdem die Seher alle magischen Mittel ausgeschöpft hatten, um sich zu einem Entschluß durchzuringen, erklärten sie: »Nein, sie sind keine Götter. Sie sind Menschen. Doch daß ihre Waffen Flammen spucken, weist darauf hin, daß sie irgendwie gelernt haben, sich die Hitze der Sonne gefügig zu machen. Solange die Sonne scheint, können sie sich auf die Überlegenheit ihrer feuerspeienden Waffen verlassen. Doch sobald die Sonne untergegangen ist, erlischt auch ihre sonnengegebene Kraft. In der Nacht werden sie nichts weiter sein als gewöhnliche Menschen, welche auch nur mit ihren gewöhnlichen Waffen kämpfen können. Sie werden genauso verwundbar und nach den Anstrengungen des Tages völlig erschöpft sein wie alle anderen Menschen. Wenn Ihr sie vernichten wollt, müßt Ihr sie nachts angreifen. Heute nacht noch. Sonst werden sie bei Sonnenaufgang sich gleichfalls erheben und Euer Heer niedermähen wie Unkraut.«
»Sie nachts angreifen?« murmelte Xicoténca. »Das widerspricht jeder Sitte und Gepflogenheit. Es verstößt gegen alle Überlieferung des redlichen Kampfes. Außer bei Belagerungen haben unsere Heere niemals nachts gekämpft.«
Die Weisen nickten. »Richtig. Die weißen Fremden werden einen solchen Angriff nicht erwarten und völlig überrumpelt werden. Tut das Unerwartete!«
Die Seher der Texcaltéca erlagen genauso verhängnisvoll einem Irrtum wie Seher überall es so oft tun. Denn weiße Heere kämpfen in ihrer Heimat offensichtlich durchaus bei Nacht und sind es gewohnt, Vorsichtsmaßnahmen gegen derlei Überraschungen zu treffen. Cortés hatte rings um sein Lager herum Posten aufgestellt, Männer, die wach und wachsam blieben, während ihre Gefährten in Kampfmontur und Panzer schliefen, die geladenen Waffen in Griffnähe neben sich. Selbst in der Dunkelheit erspähten Cortés' Wachen ohne Mühen die ersten Kundschafter der Texcaltéca, welche auf dem Bauch über das offene Gelände gekrochen kamen.
Die Wachen lösten keinen Alarm aus, sondern huschten leise zurück ins Lager und weckten leise Cortés und den Rest seines Heeres. Kein Soldat ließ seine Umrisse vor dem Himmel sehen; alle verharrten in sitzender oder kniender Position; keiner machte Lärm. Infolgedessen kehrten Xicoténcas Kundschafter zurück und berichteten, offenbar liege das ganze Lager wehrlos schlafend da und ahne nichts. Was vom Heer der Texcaltéca noch vorhanden war, kroch in seiner Gesamtheit auf Händen und Knien heran, bis sie den Rand von Cortés' Lager erreicht hatten, doch hatten sie keine Chance, auch nur einen Kriegsschrei auszustoßen. Sobald sie sich aufgerichtet hatten und leicht erkennbare Ziele boten, erhellten Blitze die Nacht, donnerte es und zischten die Geschosse … und Xicoténcas Heer wurde vom Schlachtfeld gemäht wie Unkraut.
Wiewohl er mit seinen blinden Augen weinte, schickte Xicoténca der Ältere am nächsten Morgen eine Abordnung seiner ranghöchsten Edelleute, welche die quadratische Flagge aus Goldgewirk, die Flagge des Waffenstillstands, trugen, um mit Cortés über die Bedingungen zu verhandeln, nach denen sie die Waffen strecken sollten. Zur größten Verblüffung der Abgesandten kehrte Cortés keineswegs das Gebaren des Eroberers hervor; er hieß sie mit großer Herzlichkeit und
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