Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Schneebesen in eine Bohrmaschine und quirlte damit die hochbrisanten Mischungen. Um den mühsamen Vorgang etwas zu beschleunigen und größere Mengen gleichzeitig zu mixen, versuchte er, ein Gerät herzustellen, bei dem mehrere Schneebesen mit einer Gewindestange von einer Bohrmaschine angetrieben werden konnten.
Das Rezept, das Ammoniumnitrat, Bleimennige und Aluminiumpulver im Mischungsverhältnis vier zu drei zu zwei vorsah, lieferte nicht das gewünschte Resultat. Baader machte einen Sprengversuch und stellte fest, daß zuviel Bleimennige übrigblieb. Daraufhin wurde der Anteil des roten Stoffes auf zweieinhalb Teile verringert. Der graue Sprengstoff bestand aus Ammoniumnitrat, Kaliumnitrat, Schwefel, Holzkohle und Holzmehl. Beide Sprengstoffarten, insgesamt zehn bis zwölf Zentner, wurden mit Hilfe von Trichtern in die Bombenkörper gefüllt, einige zusätzlich mit Stahlkugeln angereichert. Sprengkapseln und Sprengschnur wurden mit eingebaut, nur die elektrischen Zündanlagen vorerst zur Sicherheit weggelassen. Sie sollten erst kurz vor dem Einsatz der Bomben montiert werden.
Im Frühjahr 1972 war eine Reihe von Anwälten in der Öffentlichkeit unter Beschuß geraten. Nach der Festnahme von RAF -Angehörigen hatten sie sich als Verteidiger gemeldet und Vollmachten vorgelegt, die ihre Mandanten zum Teil schon unterschrieben hatten, als sie noch gesucht worden waren.
Manche Rechtsanwälte schienen also Kontakt zu gesuchten Terroristen zu haben.
Der Stuttgarter Anwalt Klaus Croissant wurde später, am 19 . Juni 1972 , in einem Fernsehinterview gefragt: »Wenn jemand aus der Gruppe von Personen, die heute noch gesucht werden, zu Ihnen kommt, würden Sie ihn überreden, sich zu stellen?«
Croissant antwortete: »Ich würde die Entscheidung desjenigen, der völlig mit dieser Gesellschaftsordnung gebrochen hat und sich zu einem bewaffneten Kampf entschlossen hat, anerkennen. Ich meine, daß auch derjenige, der sich als Revolutionär versteht, und jedes Mitglied der Baader-Meinhof-Gruppe wird dies tun, Anspruch auf Achtung hat …«
Der Interviewer fragte, ob Croissant einen Gesuchten, der zum Beispiel einen Anschlag plane, anzeigen würde, wenn er zu ihm käme.
»Die Frage ist sehr konkret, nur ist sie sehr hypothetisch. Wenn Sie glauben, daß irgend jemand, der einen derartigen Anschlag vorhat, dies einem Rechtsanwalt sagen würde, täuschen Sie sich ganz sicher.«
Nicht erst seit diesem Interview wurde Croissant von den Sicherheitsbehörden beobachtet.
Am 9 . Mai rief eine unbekannte Frau in seinem Stuttgarter Büro an: »Ihr Telefon wird überwacht.«
»Ja, ich meine, hallo«, sagte Croissant.
»Ja.«
»Sind Sie noch da?«
»Ja.«
»Das ist bei allen Anwälten in politischen Strafsachen anzunehmen, oder das kann man nicht ausschließen?« fragte der Rechtsanwalt.
»Ihre Wohnung wird auch überwacht.«
»Das würde mich aber schon interessieren.«
»Sie haben mir mal geholfen, und deswegen schmeiße ich den Stein zurück«, sagte die Unbekannte.
»Das ist nett von Ihnen.«
Croissant und die Frau verabredeten sich für den Abend in einem Restaurant. Das Treffen wurde von Beamten des Landeskriminalamtes observiert. Anschließend wurde die Frau festgenommen. Croissants Telefon war tatsächlich abgehört worden.
Die Anruferin war Schreibkraft im Landeskriminalamt. Sie wurde in Haft genommen.
44. Bombenanschläge
Am 27 . April 1972 scheiterte im Bundestag das erste »konstruktive Mißtrauensvotum« gegen einen amtierenden Bundeskanzler. Willy Brandt blieb im Amt. Überall in der Bundesrepublik war es zu Sympathiekundgebungen für Brandt und die sozialliberale Koalition gekommen. Im Ruhrgebiet hatten Arbeiter gegen das Mißtrauensvotum des CDU / CSU -Kanzlerkandidaten Rainer Barzel gestreikt.
Im Mai 1972 verminte die amerikanische Luftwaffe Häfen in Nordvietnam.
Andreas Baader, Jan-Carl Raspe, Holger Meins, Gudrun Ensslin und Gerhard Müller waren in Frankfurt, in der Wohnung Inheidener Straße. Sie hörten Nachrichten, und Gudrun Ensslin schlug als Gegenaktion einen Sprengstoffanschlag auf amerikanische Einrichtungen vor. »Na, denn mal los!« sagte Baader nach Gerhard Müllers Erinnerung. In einem roten Volkswagen machten sich Gudrun Ensslin und Raspe auf den Weg, um ein geeignetes Bombenziel auszukundschaften. Nach ihrer Rückkehr in die Wohnung wurde eine kleine Gasflasche sprengfertig gemacht. Zusätzlich montierte Raspe eine Rohrbombe und packte sie in eine Ledertasche. Gudrun
Weitere Kostenlose Bücher