Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
Meins. »Du kannst mir jedes Wort glauben. Ich bin abgeführt worden, in eine Polizeiwache, so wie ich war. Acht Polizisten sind da vor mir gestanden, so mir gegenüber in fünf bis sechs Metern. Der eine zog seine Pistole, legte sie auf seinen Fuß und schubste sie mit seinem großen Stiefel an mein Schienbein. Er sagte: ›So, du alter Terrorist, nun schieß los!‹ Und was hab ich gemacht? Ich habe ganz hämisch gelacht und ihm, ohne daß ich die Hände bewegte und weil ich ja barfuß war, die Pistole mit dem Fuß zurückgeschleudert, dem Polizisten ans Schienbein. Da sind sie alle über mich hergefallen. Ich hätte sie angegriffen. Ich habe nicht gepiept und nicht geschrien. Wurde grün und blau getreten mit den dicken Stiefeln. Das kann man überhaupt nicht beschreiben.«
Es war der bis dahin größte Fahndungserfolg: die Anführer der RAF in Haft. Doch in Wirklichkeit ging das Drama erst richtig los.
Der Frankfurter Rechtsanwalt Armin Golzem war der erste an Baaders Krankenbett: »Er war nicht jemand, der sozusagen durch sein Verhalten dokumentierte, daß seine politischen Ambitionen am Ende waren. Ganz und gar nicht. Die RAF war ja auch nicht tot danach. Die RAF lebte ja weiter. In den Figuren, die im Knast saßen. Sie konnten zwar nicht unmittelbar mehr an der bewaffneten Politik teilnehmen, aber sie waren in keiner Weise zu unterschätzende Projektionsflächen für die, die draußen waren.«
Drei Wochen später, es war ein heißer Tag, besuchte Anneliese Baader ihren Sohn in der Düsseldorfer Haftanstalt. Der Gefängnisleiter begrüßte sie. »Ihr Sohn hat zwar ein anderes Weltbild«, sagte er, »aber wir werden ihn schon umfunktionieren.«
Die Mutter hatte immer damit gerechnet, daß Andreas erschossen würde. Sie konnte kaum glauben, daß sie ihn lebend wiedersah. Vor dem Besuch hatte sie Beruhigungsmittel geschluckt. Andreas Baader lag allein in einem Zimmer, direkt an der Tür neben der Heizung, den Blick auf das vergitterte Fenster gerichtet. Neben dem Bett stand ein kleines Tischchen, darauf Tabletten, eine Schüssel Pudding mit Himbeersaft und eine Blechdose für Zigarettenkippen. In der Ecke ein weiterer Tisch, davor ein Stuhl, auf dem der Sicherheitsbeamte saß. Baader lag in einem Streckverband, das rechte Bein halb hoch.
Als Anneliese Baader ins Zimmer trat, sah sie als erstes seinen Kopf mit dem blondgefärbten Haar, das an der Wurzel schon wieder dunkel nachgewachsen war. Die Mutter fuhr ihm mit der Hand durchs Haar, war überrascht, daß sie an seinem Bett sitzen, ihn streicheln und küssen durfte. Andreas sah seine Mutter prüfend an. Sie fragte: »Habe ich mich so verändert?«
»Nein«, sagte er, »du hast dich nicht verändert. Du siehst nach wie vor gut aus.«
»Du weißt ja, wir sind gut im Nehmen«, antwortete sie. »Uns sieht man so etwas nicht so leicht an.«
Anneliese Baader hatte Bilder von seiner siebenjährigen Tochter mitgebracht. Andreas fragte, ob sie ihn nicht einmal besuchen könne. »Das halte ich nicht für gut«, antwortete die Mutter. »Du darfst nicht vergessen, sie hat kein Verhältnis zu dir, du bist für sie ein Fremder.« Sie hatte das Gefühl, daß ihm die Antwort weh tat. »Es ist für mich doch sehr wichtig«, sagte Anneliese Baader, »daß du hier und nicht in einem Gefängnis in Südamerika oder Persien bist. Wie es dort zugeht, ist uns ja bekannt.«
»Mutter, mach dir doch da keine Illusionen, auf die Dauer ist das kein Unterschied.«
Peter-Jürgen Boock saß in der »Kanne«, der Wohngemeinschaft eines Drogenprojektes, als die Nachricht von der Festnahme Andreas Baaders, Jan-Carl Raspes und Holger Meins’ über den Fernsehbildschirm lief. Boock war starr vor Schreck. Er stand auf, schaltete den Apparat aus und sagte: »Jetzt muß ich gehen.« Als er Andreas da so liegen gesehen hatte, war ihm klar geworden: Jetzt war nicht mehr die Zeit für kleine Hilfsdienste. Jetzt mußte er selbst in den Untergrund abtauchen. Er mußte irgend etwas tun, um Baader herauszuholen: »›Jetzt ist die Reihe an uns, jetzt müssen wir wohl ran.‹ Und für mich sowieso. Für mich war es noch einfacher, weil ich mir gesagt habe: ›Gut, die haben mich rausgeholt. Jetzt ist die Reihe an mir, ich muß sie herausholen.‹ So direkt.«
In der folgenden Woche klapperte er alle seine Bekannten ab, von denen er annahm, daß auch sie reif für die Illegalität waren. Darunter war auch ein gewisser Rolf-Clemens Wagner. Boock war klar: »Wir sind die nächste
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