Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
dann wurde uns verkündet, daß das eine Entführung war, daß wir uns still verhalten sollten, daß jeder erschossen wird, der sich nicht still verhält. Jeder wird erschossen, der spricht, jeder wird erschossen, der die Hände runternimmt, also im Grunde wurde man immer erschossen, außer man atmet still vor sich hin und hält die Hände hoch. Lammfromm. Wir haben alle gemacht, was sie sagten. Was soll man denn machen? Soll man den Helden markieren, erschossen werden? Was bringt das? Und dann haben wir gedacht, die RAF … wir wußten doch, daß es große Schwierigkeiten geben würde, weil sie gehütet wurden wie die Augäpfel von der Bundesregierung in einem Hochsicherheitstrakt. Und ausgerechnet die wollten sie haben. Aber wir wußten schon, daß es schwer wird. Wir haben eigentlich gedacht, wir sind so viele, und das sind so wenig, das muß doch, das ist doch logisch, das ist doch ein Gebot der Menschlichkeit.«
Die Flugzeugentführer wiesen dem Bordpersonal Plätze in der Economy-Klasse zu und setzten die Passagiere um. Junge Männer wurden einzeln auf die Fensterplätze bugsiert.
Kurz darauf stürmte der vierte Entführer durch die Kabine und schrie, er habe das Kommando übernommen und sei jetzt der Kapitän, Captain Martyr Mahmud, so heiße er.
Um 14 . 38 Uhr meldete die Flugsicherung Aix-en-Provence in Südfrankreich eine Routenabweichung der Lufthansa-Boeing »Landshut«. Eine gute Stunde später, um 15 . 45 Uhr, setzte die Maschine auf dem römischen Flughafen Fiumicino auf.
Gegen 17 . 00 Uhr meldete sich über den Bordfunk der Entführerchef und verlangte von der Bundesregierung die Freilassung der elf RAF -Gefangenen.
Bundeskanzler Helmut Schmidt: »Die Sache kriegte ja eine zusätzliche Dimension. Bisher war das Leben
eines
Menschen, Dr. Schleyers, in höchster Gefahr, jetzt handelte es sich um mehr als neunzig Menschen, deren Leben in höchster Gefahr war. Das kriegte eine größere Dimension. Man wußte ja auch nicht, wo das Flugzeug hinfliegen würde.«
Justizminister Vogel war klar: »Nein, wir geben nicht nach. Denn wenn wir jetzt nachgeben, dann heißt das, den Terroristen die Botschaft geben, wenn ihr einen entführt, dann geben wir nicht nach, wenn ihr aber neunzig oder hundert entführt, dann geben wir nach. Das wäre eine ganz verkehrte Botschaft gewesen.«
Der BKA -Beamte Alfred Klaus war in diesen Stunden gerade von Stammheim nach Bonn zurückgekehrt. Um 16 . 20 Uhr erhielt er einen Anruf des Stammheimer Anstaltsleiters Nusser: »Frau Ensslin will mit Ihnen sprechen.«
Nusser reichte den Hörer weiter an die Gefangene. »Na gut«, sagte Gudrun Ensslin, »wenn wir sagen, wir wollen mit Ihnen oder Wischnewski reden, dann ist das – vielleicht gegen alle Erfahrung – erstens die Frage nach einer Differenz zwischen Politik und Polizei, in der andere Möglichkeiten enthalten sind als die der Eskalation – der Rationalität aller Politiker, die dazu verurteilt sind, Polizisten zu werden, und einer Polizei, die so frei ist, die Politik zu machen.«
Es gehe darum, dem Staatssekretär zu erklären, was es bedeute, die elf Gefangenen freizulassen.
»Daß keiner von uns auf die Idee käme, mit einem Polizisten darüber zu reden – zu dem mir nichts einfällt als die tödlichen Arrangements der Transporte schwerverletzter Gefangener, schließlich die Schlinge am Fenster –, wissen Sie seit sechs Jahren.« Er könnte es nicht verstehen und also auch nicht verständlich kolportieren.
Zum Schluß sagte Gudrun Ensslin: »Wenn also geredet werden soll, mit Ihnen, ist es sinnvoll, in den sauren Apfel zu beißen, nur mit Andreas zu reden.«
Am späten Nachmittag besuchten der evangelische und der katholische Anstaltspfarrer Andreas Baader in seiner Zelle.
»Herr Baader«, sagte der evangelische Pfarrer Kurmann, »wir sind nicht beauftragt worden, sondern möchten aus eigener Initiative Ihnen die Möglichkeit von Gesprächskontakten anbieten.«
»Was soll das? Was versprechen Sie sich davon? Das hat doch keine Folgen, die unsere Haftsituation positiv verändern.«
»Da mögen Sie recht haben«, erwiderte der katholische Geistliche, Pfarrer Dr. Rieder, »aber ein persönliches Gespräch mit uns, zumal in der jetzigen Situation, kann doch auch eine entlastende Funktion haben und sich so, psychologisch gesehen, positiv auswirken.«
»Ja, wenn Sie etwas tun wollen, dann unterrichten Sie doch Ihre Institution über unsere unmöglichen Haftbedingungen der totalen
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