Der Baader-Meinhof-Komplex (German Edition)
gewesen wie Baader. Ulrike, so meinte Scholze, habe die schlechtesten Nerven von allen und eine geringe Reizschwelle gehabt. Sie war hochgradig nervös und rieb ständig ihren rechten Daumen, Zeige- und Mittelfinger gegeneinander. Oft formte sie dabei aus abgerissenen Papierstückchen Kugeln, die sie dann überall herumliegen ließ.
Später, als die Polizei das auch von anderen Zeugen erfahren hatte, suchte sie in illegalen Wohnungen systematisch nach solchen Papierkügelchen.
14. Im Frankfurter Hauptquartier
Inzwischen waren auch Andreas Baader und Gudrun Ensslin auf dem Weg nach Westdeutschland. Ruhland und Ulrike Meinhof holten sie am Frankfurter Hauptbahnhof ab.
Baader trug die ursprünglich langen dunklen Haare nun kurz und hellblond, fast weiß, und blinzelte durch eine randlose Brille. Gudrun Ensslin hatte sich die kurzen Haare schwarz gefärbt. Noch auf dem Bahnsteig verabredeten sie sich zu einer Einsatzbesprechung in einer von Ulrike Meinhof requirierten Frankfurter Wohnung.
Am 10 . Dezember hatte sie an der Tür des Schriftstellers Michael Schulte gestanden. Schulte merkte das und öffnete, ohne auf das Klingelzeichen zu warten. Draußen stand eine Frau mit mittellangen blonden Haaren und Brille.
»Wohnt hier R. W.?« fragte sie.
»Sie meinen den Schriftsteller?«
Sie nickte.
»Der wohnt jetzt in Basel in der Schweiz. Kommen Sie rein, dann schreibe ich Ihnen die neue Adresse auf.«
»Die Schweiz nutzt mir nichts.«
»Was wollen Sie denn von ihm?«
»Ich habe gehört, daß er bereit wäre, Leuten aus linken Kreisen Unterkunft zu geben.«
»Das halte ich für ausgeschlossen, dafür kenne ich ihn zu gut.«
»Wohnen Sie allein hier?«
»Ja.«
»Würden Sie denn solche Leute unterbringen? Sie haben doch genug Platz.«
»Das würde ich schon machen, wenn ich weiß, um wen es sich handelt.«
»Das kann ich im Moment noch nicht sagen, weil ich noch nicht weiß, wer Sie sind und was Sie machen.«
Schulte sagte, er sei Schriftsteller, und zeigte ihr einige seiner Bücher. Eines davon hieß »Die Dame, die Schweinsohren nur im Liegen aß«. Darin hatte er bekannt: »Ich liebe Abenteuer, und doch habe ich so gut wie nichts erlebt. Gefahren weichen mir aus, mein Dasein ist geordnet, mein Alltag bleibt alltäglich.« Das sollte sich ändern.
Ulrike Meinhof begann, den Schriftsteller zu duzen. »Was hältst du von den Mahler-Leuten?«
»Nicht viel.«
»Kannst du nicht trotzdem ein paar Leute für einige Nächte bei dir aufnehmen?«
Schulte zögerte.
»Ich bin Ulrike Meinhof.«
»Das glaube ich nicht. Die ist doch zusammen mit Mahler festgenommen worden.«
»Da irrst du dich. Das war jemand anders.«
Die Frau war dem Schriftsteller sympathisch, und er sagte ihr zu, sie kurzfristig in seiner Wohnung aufzunehmen. Beim Abschied gab er ihr seinen Wohnungsschlüssel.
In der übernächsten Nacht kehrte Michael Schulte kurz nach 1 . 00 Uhr aus seiner Stammkneipe zurück. Als er die Wohnungstür öffnete, kam ihm Ulrike Meinhof aus dem Wohnzimmer entgegen. »Bitte geh nicht da rein«, sagte sie. »Wir haben dort eine Besprechung, an der du besser nicht teilnimmst.« Schulte verzog sich in sein Schlaf- und Arbeitszimmer und hörte von nebenan Stimmen, ohne zu verstehen, was gesprochen wurde.
Nacheinander waren alle in die Wohnung des Schriftstellers gekommen. Raspe brachte einen »Minispionsucher« mit, um verborgene Wanzen aufzuspüren. Er kletterte über Tische und Schränke und suchte die Wände ab. In einer Ecke gab das Gerät kräftige Pfeiftöne von sich. Man beratschlagte längere Zeit, ob dort vielleicht eine Abhöranlage eingebaut war. Es stellte sich aber heraus, daß der Wanzensucher auch auf Lichtleitungen ansprach. Dann eröffnete Baader die Sitzung: »Wir geben jetzt Berlin auf und konzentrieren uns auf die Bundesrepublik.« Als nächstes sollten die im Ruhrgebiet geplanten Banküberfälle ausgeführt werden. Dazu müßte die Gruppe noch weitere Autos besorgen.
Es schloß sich eine allgemeine Diskussion über politische Fragen an. Dann spielte Baader ein Tonband ab, das er aus Berlin mitgebracht hatte. Baaders Stimme tönte aus dem Lautsprecher und gab den Inhalt von Ermittlungsakten über die Gefangenenbefreiung aus dem Institut für soziale Fragen in Berlin wieder.
Dann kam die Diskussion auf aktuelle Ereignisse. Einige Tage zuvor war die sechzehnjährige »Teeny« zu schnell gefahren und hatte dabei parkende Fahrzeuge gestreift. Obwohl bei dem Mercedes nur ein Scheinwerfer
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