Der Babylon Code
zwei Stellen krochen Zellen als Schleimfäden am Sichtfenster des Brutkastens nach
oben. Es schien, als teilten sich die Kulturen außerhalb der Schalen auch ohne Nährlösung einfach weiter.
»Das ist doch eigentlich unmöglich«, murmelte Ned Baker. »Wie viel Teilungsschritte schätzen Sie?«
»Hunderte! Tausende!«, murmelte Snider, der selbst fasziniert auf die Petrischalen starrte.
»Kann mich mal jemand aufklären?«, verlangte Zoe Purcell.
»Die Fähigkeit aller Zellen zur Zellteilung ist begrenzt.« Snider lachte verstört auf. »Bei allen Lebewesen. Selbst unter idealen Bedingungen gilt diese Regel. Die Anzahl scheint vorgegeben. Jede Zelle besitzt eine Zellteilungsuhr, die die Anzahl der Zellteilungen begrenzt. Und die ist nicht zu überlisten. Embryonale Fibroblasten des Menschen beispielsweise, also Zellen des Bindegewebes, teilen sich in der Kultur vierzig bis sechzig Mal. Dann ist Schluss. Unwiderruflich. Die Zellteilungsrate von Mäusezellen liegt maximal bei achtundzwanzig Teilungen.«
»Ist das Ihre Sensation?«, fragte Zoe Purcell ungeduldig.
»Das ist eine Sensation…«, sagte Snider leise.
». . . aber nicht die, die Sie uns zeigen wollen, nicht wahr?«, hakte Ned Baker nach.
Jasmin starrte immer noch fassungslos auf die Kulturen. Die Teilungskraft nahm mit dem Alter der Zellen ab. Je älter der Spender war, desto geringer war die Zahl der noch möglichen Teilungen. Zellen von sehr alten menschlichen Spendern schafften in Kulturen maximal noch bis zu fünfundzwanzig Teilungen.
Diese Zellen stammten aus dem Knochen, der nach Chris’ Aussage Tausende von Jahren alt sein sollte. Welch eine Lebenskraft, dachte Jasmin.
»Schön. Eine Zelllinie, die sich unbegrenzt teilt. Eine Sensation – ist das wirklich eine Sensation?« Zoe Purcell sah provozierend in die Runde. »Wenn ich mich richtig erinnere… Ned, Sie sagen
doch immer, es gibt sehr wohl Zellen, die sich unbegrenzt teilen.«
»Krebszellen«, erwiderte Ned Baker. »Bei Krebszellen ist die Zellteilungsgrenze aufgehoben. In Kulturen teilen sich Krebszellen unbegrenzt…«
»Na also.«
»Im menschlichen Organismus geschieht dies so lange, wie der Organismus lebt. Stirbt der Mensch, sterben auch die Krebszellen, stellen ihre Teilung endgültig ein.«
»Sind das vielleicht Krebszellen?« Zoe Purcell sah Snider an. »Wollten Sie uns an der Nase rumführen? Haben Sie wirklich geglaubt, wir finden das nicht raus?«
»Das sind keine Krebszellen.« Snider schüttelte energisch den Kopf. Seine Stimme war belegt, und ein zorniger Unterton schwang mit.
»Woher stammen sie?«
»Aus einem alten Knochen.«
»Wenn ich nicht bald mehr an Antworten bekomme, dann geht es hier anders zu!« Die Finanzchefin fluchte. »Sullivan, lassen Sie die Daumenschrauben holen!«
»Jasmin, du hilfst mir.« Snider gab sich einen Ruck.
»Was tun wir?«
»Analysieren. Ich will euch etwas zeigen. Zunächst die Zellteilung unterbrechen.«
Snider wählte eine Zellkultur aus, und Jasmin streifte sich Kittel und Handschuhe über. Sie gab Colchizin dazu, das Gift der Herbstzeitlosen. Damit wurde die Zellteilung für etwa zwei bis drei Stunden unterbrochen, und sie konnten die Chromosomen untersuchen, von dort Ebene um Ebene tiefer gehen.
»Wird es lange dauern?« Zoe Purcell stand die Ungeduld ins Gesicht geschrieben.
»Es ist ein komplexer Vorgang«, sagte Snider und bemühte sich um einen neutralen Tonfall, während Jasmin die Kultur zentrifugierte.
»Erklären Sie es mir. Wir haben ohnehin nichts Besseres zu tun.«
»Die Komplexität beginnt schon mit der Art der Zelle und der Art der DNA. In der Forschung wird bevorzugt mit den Zellen von Bakterien gearbeitet, da sie aufgrund der geringen Größe, der Vermehrung und der kurzen Generationsdauer, aber auch aufgrund der einfachen Zellorganisation besonders leicht zu handhaben sind. Eukaryonten, also die Zellen von Menschen, Tieren und Pflanzen, sind mit ihrem Zellkern, den Mitochondrien, dem Zellplasma und den Ribosomen viel komplexer strukturiert.«
Zoe Purcell sah zu Baker, der zustimmend nickte.
»Die Zellkern-DNA eines Menschen müssen Sie sich als einen Faden von etwa zwei Meter Länge vorstellen, der alle relevanten Informationen zum Aufbau des Menschen enthält. Der DNA-Faden und die Informationen sind wiederum verteilt auf eine unterschiedliche Anzahl von Chromosomen. Jedes Lebewesen ist anhand der Anzahl seiner Chromosomen zu identifizieren.«
Ned Baker sah seine Chefin an. Bisher hatte sie
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