Der Bademeister: Roman (German Edition)
Tür fiel hinter mir ins Schloss.
Der Geruch kam aus dem Heizungskeller, und für einen Moment wollte ich umkehren, ich wäre umgekehrt, vielleicht nicht wieder hergekommen, aber ich fürchtete, dass mich draußen einer entdeckt. Den ganzen Tag blieb ich, ging bis zum Gang, einige Male hinauf bis an die Tür, inzwischen war es hell geworden, ich wollte warten, bis es dunkel wird. Die schmalen Milchglasscheiben im Keller, die aus dem Hof Licht hereinlassen sollen, waren so schmutzig, dass ich fast nichts erkennen konnte, und ich wagte nicht, das Licht einzuschalten. Nur in dem kleinen Bad, das gar kein Fenster hat, machte ich schließlich Licht, wusch mir die Hände und trank etwas Wasser aus dem Hahn. Ich setzte mich im Kesselraum auf einen Stuhl, wagte nicht gleich hinaufzugehen, wollte in die Schwimmhalle und blieb doch lange unten sitzen, bis ich die Kälte und den Gestank nicht länger aushielt und leise, als könnte mich jemand hören, die Treppen hochging.
Inzwischen weiß ich alles. Keiner muss mich suchen, es gibt ja Mikrophone, jedes Wort, das ich hier oben in der Halle sage, kann aufgezeichnet werden, man muss sich nicht eigens herbemühen, um zu erfahren, dass ich hier bin. Aber ich bin nicht gewaltsam eingedrungen. Der Hausmeister selbst hat mir den Schlüssel ausgehändigt, ich habe nichts getan, das strafbar ist. Ich kann alles erklären.
Dass ich hierher zurückkehren müsste, habe ich geglaubt.
Fast fünf Wochen bin ich wie blind herumgelaufen, den Schlüssel in meiner Tasche. Ich wollte hier nie sein. Als ich den Gestank roch, die Tür hinter mir geschlossen hatte, begriff ich, dass es vergeblich ist. Es gibt keinen anderen Ort, an dem ich bleiben könnte.
Der Gestank war schrecklich, und im Dunkeln auf den Treppen stürzt man leicht, ich dachte, dass keiner mich finden darf, hier würde mich keiner finden, wusste nicht, woher es stank, und der Gestank vermischte sich in meinem Kopf mit dem Geruch von Haarspray, Kölnisch Wasser und Chlor. Nach Verwesung stank es, faulig und so scharf, dass mir die Augen tränten. Jetzt riecht es nach Staub, nach Kohlenstaub. Aber ich habe noch immer diesen Geruch in der Nase, auch wenn ich nachts aufwache, selbst tagsüber, selbst hier oben, und dann kommt es mir vor, als lägen vor meinen Augen die toten Körper. Ohne das Licht der Globen kann ich nicht einschlafen. Nächtelang habe ich nicht geschlafen. Es sind die Bilder in meinem Kopf, ich weiß nicht, wie sie in meinen Kopf geraten sind, vielleicht hat ein anderer sie gesehen, oder es ist das Wasser, das, was man sieht, wenn man Jahre das Wasser vor Augen hat und nackte Körper.
Die Menschen sind hässlich. Wenn ihre nackten Körper nicht lügen, so nur deshalb, weil es misslingt, weil sie sich verraten, ihren Neid und ihre Bösartigkeit, all das Verschlagene, die fade Hässlichkeit, die das bisschen Stolz und Anmut schnell ausgeliefert hat. Im Schwimmbad kann man sich nicht verkleiden. Ich weiß, wovon ich spreche, und als Frau Karpfe mir mitteilte, ich sei entlassen, hätte ich glücklich sein müssen, dass es vorbei ist. Mitleid und Hass, jeder blaue Fleck, die langsamen Bewegungen einer Frau, die sich im Spiegel betrachtet und ihr Alter sieht, die Auflehnung, mit der sie einen bunt geblümten Badeanzug trägt. Die Kopfbewegung eines jungen Mädchens, das unter den Blicken eines Freundes aus dem Wasser steigt, Tropfen von ihrer Schulter leckt. Babys, die in der Wärme nackt auf den Kacheln herumkrabbeln. Die Nacktheit und die Leere, die sie hinterlässt.
Tagaus, tagein die Badegäste, die Alten morgens, mittags die Kinder und gegen Abend die anderen, ein Mann, der sich wäscht, und seine Frau, die mit lackierten Fingernägeln ein Härchen an ihrer Brustwarze ausreißt, geschwollene Füße, das weiche Fleisch. Ich habe alles gesehen, ohne ein Wort zu sagen.
Das Volksbad gibt es seit fast hundert Jahren. Wer damals hier war, ist längst gestorben, und es kommt mir vor, als würden die Toten zurückkehren, so wie ich, als wäre ich mit ihnen eingesperrt. Wie Schatten sitzen sie auf der Galerie und warten ab, was geschieht.
Ich weiß nicht, wie sie hierherkommen. Sie sind nicht hier gestorben. Aber ich spüre deutlich, dass jemand oben auf der Galerie ist, und die anderen sind längst fort, ich habe keinen von ihnen wiedergesehen, weder den Hausmeister noch Frau Karpfe oder Klaus, und doch merke ich genau, dass jemand in der Halle ist, oben auf der Galerie, und manchmal auch im Becken.
Ich war der
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