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Der Bademeister: Roman (German Edition)

Der Bademeister: Roman (German Edition)

Titel: Der Bademeister: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hacker
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Bademeister hier, jahrzehntelang, ich kann genau unterscheiden, ob einer da ist oder nicht. Von den Mikrophonen lasse ich mich nicht täuschen und auch nicht davon, dass einer hören kann, was ich sage, Rechtfertigung von mir verlangen kann, weil ich hier eingedrungen bin. Die anderen sind jedenfalls hier, auch wenn man sie nicht hört. Ich weiß nicht, was sie von mir wollen.
    Hier hat keiner mehr irgendein Recht. All das ist nur wegen des Wassers, nur deswegen sind sie hier, so wie ich auch, und sie streifen mich mit ihren Schattenarmen, huschen vorbei oder stehen starr und vorwurfsvoll am Beckenrand, als hätte ich ihnen etwas angetan.

    Ich glaubte, der Gestank käme aus dem Schwimmbad. Gleich ist mir wieder eingefallen, was der alte Bademeister damals erzählt hat, ausgestreckte tote Körper auf den Kacheln, die verwesen sollen, damit man nicht sieht, wie sie zu Tode gekommen sind.
    Ich habe lange dort gestanden, im Dunkeln auf den Treppenstufen, ein schmaler Gang auch dies, so wie der Gang, der Heizungskeller und Schwimmhalle verbindet, für eine Person gerade breit genug. Die Wände spürt man dicht am Körper, die Farbe blättert ab, und mit der Farbe eine Schicht von Ruß, die sich dort festgesetzt hat in all den Jahren, es ist ein Gang, den kaum einer betritt außer dem Heizer. Aber der Heizer kann den Heizraum leichter durch den Hof erreichen, der Keller liegt nur halb unter der Erde, durch Milchglasscheiben fällt Licht hinein, und ein paar Treppenstufen führen hinunter vor eine schwere Eisentür.
    Den Seiteneingang hat niemand gern benutzt.
    Man steht dort wie in einem Tunnel, der durch zwei Innentüren abgeschlossen ist, hinter dem Seiteneingang und einem kleinen Vorraum die eine, zum Heizungskeller hin die andere, die aus Eisen ist. Der alte Bademeister hat gesagt, man habe dort früher Menschen festgehalten. Es ist ein schmaler Gang, fast stoße ich mir den Kopf, und rechts und links berühren die Wände fast den Körper. Wo einer hindurchgegangen ist, bleibt keine Spur von ihm, und wer hier früher eingesperrt war, ist verschwunden, ohne ein Zeichen zu hinterlassen, so wie man aufsteht, fortgeht, so wie der alte Bademeister und ich auch.
    In der Schwimmhalle ist es anders, weil hier das Wasser war, im Wasser die bloßen Körper und das, was sich von ihnen ablöst wie eine dünne Schicht oder ein Geruch, es ist nicht alles vollständig verschwunden, und wenn ich das Becken sehe, weiß ich genau, wer darin war.

    Manchmal träume ich, dass ich im Gang stecken geblieben bin, die Wände näher zusammengerückt und ich dazwischen eingesperrt. Ich gehe ungern durch den Gang. Ein paar Mal bin ich zwar hindurchgegangen, weil es für mich keinen anderen Weg nach draußen gab, aber wenn ich jetzt an diesen Gang denke, scheint es mir unmöglich, ein weiteres Mal hindurchzugehen.

    Hier oben war das Wasser, jeden Tag vor meinen Augen. Der alte Bademeister hat behauptet, dass nach dem Krieg im leeren Becken Leichen lagen, dass man sie im Volks- und Schwimmbad erschossen hat.
    Weißt du nicht, dass er ein Spitzel ist? flüsterte Klaus und zeigte auf den Hausmeister. Glaubst du vielleicht, sie hätten euch nicht überwacht? Ich habe immer darauf geachtet, nichts zu hören. Wenn einer aufnimmt, was ich sage, ist es mir gleich, davor habe ich keine Angst. Jetzt soll man mir zuhören. Jetzt soll man hören: dass nichts geschehen ist all die Jahre, die ganzen Jahre in diesem Schwimmbad, keiner ertrunken, ein ganzes Leben lang, Tag für Tag, als wären die Tage eine Rechnung, die beglichen werden muss, ohne dass man weiß, warum, ohne die Schuld zu kennen, das Maß, mit dem gemessen wird. Das Maß ist ein verpfuschtes Leben, das Wasser ist das Maß, das Wasser morgens, das erste Licht auf der Wasseroberfläche, die Ruhe abends, nachdem die Letzten das Bad verlassen hatten, die Körper, und wie unscheinbar sie sind, die Löwenfratzen an der Galerie, an den Pfeilern die aufgemalten Blumen, das Kommen und Gehen der Badegäste, die Gesichter der Schwimmenden, ihr Hin und Her, die Blicke, Bewegungen, das Altern, und die Erinnerung an all die Jahre, fast hundert Jahre gibt es das Volksbad, unzählige Stimmen, die Angst, die Toten auf dem Beckengrund, die Gleichgültigkeit der Mauern, die jetzt verfallen.
    Es hätte nicht enden dürfen. Das war das Einzige: dass es nicht endet, so wie das Wasser selbst. Kein Anfang und kein Ende.
    Die Spuren kann man fälschen, und wo eine Geschichte ist, kann man auch eine andere erzählen.

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