Der Bann (German Edition)
Grundfesten ihrer Welt. Das Fundament ihrer Beziehung zu Nate war wie ein Fels. Was der Grund dafür war, dass die Aussicht, ihn zu verlieren, so ganz und gar unvorstellbar schien. «Du hast mir immer noch keine Einzelheiten erzählt», sagte sie leise und studierte sein Gesicht. Mit Genugtuung sah sie, wie die Farbe allmählich zurückzukehren schien.
«Dazu war bis jetzt wohl kaum Gelegenheit.»
«Als Dad uns in sein Arbeitszimmer holte, sagte er, dass er befürchtete, unsere Deckung wäre aufgeflogen. Irgendjemand im Büro seiner Anwaltskanzlei, der keine Ahnung vom Protokoll hatte, scheint am Telefon Informationen herausgegeben zu haben. Das war alles, was ich mitbekommen habe, bevor ich rausgegangen bin, um Leah zu holen.»
Nates Hände glitten über das Fußgewölbe und vertrieben die Anspannung. «Charles meinte, die Sache mit den Anwälten hätte sich schon vor Wochen ereignet, was bedeuten würde, dass Jakab sich wahrscheinlich bereits eingeschlichen hatte.»
Ihr Vater hatte vier Mitarbeiter, die ihm halfen, das Anwesen am Rand von Chipping Ditton zu bewirtschaften. Nora Trencher, Ende sechzig, arbeitete stundenweise als Haushälterin. Noras Ehemann Bill war ebenfalls ein regelmäßiger Besucher, auch wenn er längst zu alt war, um sinnvolle Arbeit zu leisten. Charles hatte sie gerne bei sich, und Leah war in ihrer Gegenwart aufgewachsen. Außerdem gab es noch zwei Arbeiter aus der Gegend, Brüder: Tom und Alex Tavistock.
Nates Blick wanderte von ihrem Gesicht zu den Flammen im Kamin. «Wir überlegten, wer es sein könnte. Wer sich merkwürdig verhalten hatte. Ich ging in den Feuchtraum, um unsere Panik-Ausrüstung zu holen. Ich hatte bereits den Waffenschrank geöffnet und Charles’ alte Luger hervorgeholt. Sie steckte geladen in meiner Jackentasche.
Dann kam Nora ins Zimmer und fragte, ob ich Hilfe brauche. Als sie unsere Taschen sah und den offenen Waffenschrank, da …» Nate blies die Wangen auf, und als er Hannah wieder ansah, wirkte sein Gesicht eingefallen. «Sie lächelte mich an, und ich wusste, dass es jemand anderes war. Die Augen, verstehst du? Ich habe noch nie solche Augen gesehen. Niemals. Es war die alte Nora, sogar das Muttermal war auf der Wange – bis auf den Blick in ihren Augen.»
Hannah ließ den Kopf hängen.
Nora Trencher. Die Frau war sechs Jahre lang Teil ihres Lebens gewesen. Sie war wie eine Großmutter für Leah. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie noch am Leben war, ging gegen null. Ihr Ehemann Bill, der Leah vor zwei Sommern ein wunderschönes Puppenhaus gebaut hatte, hatte im Verlauf der letzten sechs Monate immer schlechter gesehen und war in der Folge immer abhängiger geworden von seiner Frau. Hannah fragte sich, was nun aus ihm werden sollte. Der Gedanke machte sie ganz krank, dass der alte Mann in seinem einfachen Cottage festsaß, blind und allein.
«Ich dachte, ich wäre auf diesen Moment vorbereitet», fuhr Nate fort. «Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass es mich dermaßen schockieren könnte. Nora vor mir zu sehen und zu wissen, dass sie nicht Nora war … es lähmte mich nur für eine Sekunde, aber mehr war nicht nötig. Sie war unglaublich
schnell
, Han. Ich habe das Messer gar nicht gesehen, bevor sie mich damit niederstach.» Er deutete auf die obere der beiden Wunden. «Zuerst hier. Dann hier. Und weißt du, was das Schlimmste daran ist? Als sie erkannte, dass ich nicht imstande war zu schreien, trat sie einen Schritt zurück und sah mich an. Sie sah mich einfach an, den Kopf zur Seite geneigt, als versuchte sie, sich mein Gesicht einzuprägen, meine Mimik. Alles im Gedächtnis zu speichern.» Nate schüttelte den Kopf. «Ich sage immer
sie
. Ich sollte
er
sagen. Oder
es
.»
Er nahm die andere Hand von ihrem Fuß und strich sich durch die Haare. Auf seiner Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet, und er wischte sie weg. «Ich konnte die Luger ziehen. Und ich schoss. Ich traf sie mitten in der Brust. Es hätte sie töten müssen, auf der Stelle. Der Einschlag warf sie zurück in den Flur. Ich feuerte ein zweites Mal, aber der Schuss ging vorbei. Bis ich mich in den Flur geschleppt hatte, war sie verschwunden.»
Hannah sah ihn schweigend an.
Es gab so viele Unwahrheiten. Ich mache dir keinen Vorwurf, wenn du verwirrt bist.
Das war die Realität, das, womit sie es zu tun hatten. Jakab hatte Nora Trencher ermordet. Sie konnte es nicht mit Sicherheit sagen, doch es war offensichtlich, dass er in Noras Gestalt geschlüpft war und versucht
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