Der Bann (German Edition)
denkst du?»
«Ich dachte, du hättest ihn gewarnt, nicht mehr herzukommen?»
«Scheint nichts genutzt zu haben, oder? Ich finde heraus, was er will. Und dann schicke ich ihn zum Teufel.»
«Han, warte! Sei nicht zu grob mit ihm. Wir wollen nicht, dass er Verdacht schöpft, okay? Er ist ein hartnäckiger Kerl.»
«Zu hartnäckig für meinen Geschmack.»
«Zugegeben. Aber machen wir trotzdem langsam, ja? Wäre es möglich, dass Jakab uns schon gefunden hat?»
Sie wusste nicht, wie. Außerdem, falls er es bereits wusste, wäre er bestimmt nicht mit ihr in Kontakt getreten und hätte versucht, sie zur Preisgabe ihres Verstecks zu bewegen. Trotzdem. Etwas an der Ausstrahlung des Iren machte ihr Angst. «Die Sache gefällt mir nicht.»
«Mir genauso wenig. Aber wir sind in einem Krieg, Hannah. Wir müssen strategisch denken. Falls Jakab es hierherschafft, wird er mit großer Wahrscheinlichkeit versuchen, diesen Gabriel gegen uns zu benutzen. Es könnte also nützlich sein, etwas über den Mann in Erfahrung zu bringen. Etwas, womit wir ihn validieren können.»
Die nüchterne Art und Weise, wie Nate über die Möglichkeit redete, dass Jakab in die Rolle von Gabriel schlüpfen könnte und welche Vorkehrungen sie treffen mussten, ließ sie frösteln – obwohl er nur ihren eigenen Gedanken laut ausgesprochen hatte.
Waren sie dabei, einen wichtigen Teil ihres Menschseins zu verlieren? Sie wollte nicht, dass noch jemand in diesen Albtraum hineingezogen wurde. Schon jetzt waren viel zu viele Menschen gestorben. Auf der anderen Seite hatte sie nur noch Nate und Leah. Richtig oder falsch, sie würde das Leben von beliebig vielen Fremden opfern, wenn sie damit das Leben der beiden retten konnte. Falls Gabriel sich unbedingt einmischen musste, war er selbst für seine Sicherheit verantwortlich. Wie Nate ganz richtig gesagt hatte: Die Kenntnis des einen oder anderen persönlichen Details könnte sich als unverzichtbar erweisen.
Draußen zog der Ire einen Lederhandschuh aus und beugte und streckte die befreiten Finger. Dann schwang er sich aus dem Sattel und stapfte zur Hintertür.
«Leah, vergiss nicht, was wir besprochen haben», warnte Hannah ihre Tochter.
Als Gabriel sie durch die Scheibe in der Tür erblickte, grinste er, und sie war ein weiteres Mal überrascht vom Kontrast zwischen seinen leuchtend kobaltblauen Augen und den perlweißen Zähnen.
Mit wild pochendem Herzen ging Hannah zur Tür. Rief sich ins Gedächtnis, was Sebastien ihr über Gabriel erzählt hatte.
Ein umgänglicher Bursche, ständig einen Witz auf den Lippen. Lästig wie sonst was. Gabriel ist harmlos, aber wenn er eine Chance wittert, kommt er her und steckt seine Nase in Dinge, die ihn nichts angehen.
Der alte Mann hatte recht gehabt mit der letzten Feststellung, daran bestand kein Zweifel. Hannah legte die Hand auf die Türklinke und öffnete.
«Na, das nenne ich einen Anblick!», begrüßte Gabriel sie und stemmte die Hände in die Hüften. «Die Vision von Llyn Gwyr steht vor mir. Herrin des Sees, Mahnerin der Wilderer, Schutzpatronin der Fische!»
«Was machen Sie hier, Gabriel?»
Er füllte die Lungen mit walisischer Bergluft und atmete aus. Dann hob er die Arme und vollführte eine langsame Pirouette. «Leben! Atmen! Frohlocken unter Gottes Himmel! Haben Sie je einen so verheißungsvollen Tag gesehen wie diesen?», rief er.
«Ein Sturm ist im Anzug.»
«Nein, nein. Nicht heute. Der Sturm kommt, sicher, und wir sollten uns vorbereiten, weil er zweifellos heftig wird, aber nicht heute. Heute ist ein Tag, um das Leben zu feiern, seiner Vergänglichkeit zu gedenken und dem Schwanengesang der Natur zu lauschen. Der Herbst in all seiner Pracht.» Er hob eine Augenbraue. «Ihre Tochter sagte, Sie reiten?»
«Das tue ich.» Hannah merkte, wie die Worte des Mannes ihre Wirkung auf sie entfalteten, genau wie bei ihrer ersten Begegnung. Je länger er redete, desto ruhiger wurde sie und desto gefährlicher schien die Situation zu werden.
Sei auf der Hut. Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich weiß nicht, was, aber irgendetwas stimmt nicht.
«Haben Sie Lust, mich auf einen Ausritt zu begleiten?», fragte Gabriel. «Ich würde Sie ja gerne mit Namen ansprechen, aber Sie haben mir diese Ehre noch nicht erwiesen.»
«Ich kann meine Tochter nicht allein lassen.»
Er drehte sich um und deutete mit überschwänglicher Geste zu den Tieren. «Sehen Sie, drei Reitpferde. Eins für den nichtsnutzigen Gabe, eins für die kleine Lady und eins für die
Weitere Kostenlose Bücher