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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
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seines Vaters war so nah, dass Lukács die Poren seiner Haut sehen konnte, den Tabak in seinem Atem riechen, das Minzöl, die Nässe seiner Tränen spüren.
    József stöhnte. Er presste seine Wange an Lukács’ Stirn. «Ich habe dich geliebt, du dummer Junge. Trotz allem habe ich dich geliebt, immer geliebt,
immer
. Und dann musstest du so etwas tun. Du hast es mir angetan. Deiner Familie, dir selbst. Diesem dummen Mädchen. Warum, Lukács,
warum
? Ich will das nicht tun, ich will es wirklich nicht, aber ich
muss

    «Du musst überhaupt nichts, Vater.»
    József heulte auf. Mit der freien Hand zerrte er Lukács vom Regal weg und rammte ihn ein weiteres Mal dagegen. Das Brett krachte gegen seinen Schädel, und die Klinge glitt tiefer. Lukács spürte, wie das Blut an seinem Hals entlanglief, heiß und dick.
    Und dann, mit Augen so schwarz wie das Herz einer Sonnenfinsternis, mit Speicheltropfen am Kinn und monströser Kraft, zog József die Klinge durch die Kehle seines Sohnes. Lukács’ Augen quollen hervor. Er spürte, wie Blut hervorsprudelte. Sah, wie es über Józsefs Unterarme spritzte. Hörte es auf den Boden platschen.
    Sein Vater hielt ihn, das Gesicht verzerrt.
    Lukács wollte reden, wollte sich aus Józsefs Griff befreien, versuchte sich auf seinen Hals zu konzentrieren, doch der Schmerz war zu stark. Er spürte, wie seine Beine nachgaben, und als die Kraft vollends aus ihnen wich, hielt sein Vater ihn gegen das Regal gedrückt.
    Er hustete, würgte, verkrampfte.
    Schatten rollten über ihn hinweg. Er fühlte, wie sein Kopf leicht wurde. Seine Gedanken trudelten davon, und zurück blieb nacktes Entsetzen. Seine Lungen leerten sich, und als er Luft holen wollte, stellte er fest, dass es nicht ging, stellte fest, dass seine Lippen taub waren, dass seine Arme taub waren, dass seine Welt dunkler und dunkler wurde, dass seine, dass …
     
    Balázs József lockerte den Griff um den Körper des Jungen und ließ ihn zu Boden gleiten. Er drehte sich um, starrte zum Mazarin-Schreibtisch und rammte das Messer tief in das Holz der Tischplatte. Schwer atmend, schluchzend, aufbrüllend packte er das Möbel und warf es um. Papiere, Kerzen, Schriftstücke segelten durch die Luft. József brach zwischen den Trümmern zusammen. Weinend presste er die Hände gegen die Schläfen.
    Wie hatte das passieren können?
Wie?
    War es seine Schuld? Hatte er den Jungen irgendwie im Stich gelassen? Er dachte an seine tote Frau und stöhnte. Die Trauer um sie hatte dazu geführt, dass er sich von der Welt zurückgezogen hatte, von der Verantwortung gegenüber seinen Söhnen. Was würde sie denken, wenn sie das sehen könnte? Was würde sie sagen? Ihr mittlerer Sohn ein Vergewaltiger. Ihr Ehemann besudelt mit seinem Blut.
    József hob den Kopf, zwang sich, zu Lukács’ regloser Gestalt zu sehen, zu der aufgeschlitzten Kehle, aus der immer noch das Blut quoll, auch wenn der Strom schwächer und schwächer wurde. Es war ein dunkles Bild. Ein albtraumhaftes Bild. Doch es war am besten so, dachte József.
    Nein.
    Doch. Doch, es war besser so. Barmherziger. Gnädiger für den Jungen.
    Du darfst das nicht tun.
    Besser für alle.
    NEIN !
    Zitternd und vor sich hin murmelnd kroch er über den Boden zu seinem Sohn. Untersuchte seine Seite, drehte ihn auf den Rücken. Die Augen des Jungen waren geschlossen. Seine Brust bewegte sich nicht.
    József legte die Hände über die klaffende Wunde in Lukács’ Kehle und schloss die Augen.
    Er
drückte
.
    Er spürte ein Stechen in den Fingern, einen Widerstand, als drückte er die Hände in Berge von zersplittertem Glas. Der Schmerz wurde stärker, und dann war er mit einem Mal durch. Hitze floss durch seine Hände. Er biss die Zähne zusammen, als er spürte, wie er sich mit den Muskeln und dem Fleisch und der Haut des Jungen verband, und dann strömte sein Blut durch die Finger zu Lukács.
    «Komm zurück», flüsterte er leise. «Bitte, Sohn. Komm zurück.»
    Als die Wärme aus ihm floss, fing er an zu zittern. Durst wütete in ihm. Er spürte, wie er schwächer und schwächer wurde, wie sich sein Magen zusammenzog und knurrte.
    Unter ihm rührte sich Lukács. Er zuckte, seine Hände schlugen gegen den Boden, seine Beine traten aus. Dann atmete er tief und zitternd ein, setzte sich auf und schrie.
    József nahm die Finger weg, und ein Schauer aus roten Tropfen sprühte hoch. Lukács’ Kehle war rau. Dunkle Handabdrücke markierten zwei Flecken, an denen keine Haut mehr war. Der tiefe Schnitt

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