Der Bann (German Edition)
Ozon.
Hannah schloss den Discovery auf, glitt hinter das Lenkrad und zog die Tür hinter sich zu. Die vertraute, abgenutzte Behaglichkeit des großen Geländewagens wirkte beruhigend – bis sie an das Blut dachte.
Der Beifahrersitz war durchtränkt damit, die grauen Polster braun, wo es bereits eingetrocknet war, und glänzend schwarz, wo es eine so tiefe Lache gebildet hatte, dass es noch nicht völlig geronnen war. Der Anblick ließ Übelkeit in ihr aufsteigen, und sie wendete den Blick ab. Nate hätte eigentlich in diesem Wagen sterben müssen. Es war ihr ein Rätsel, wie er es geschafft hatte zu überleben. Wie jemand so viel Blut verlieren konnte und trotzdem am Leben bleiben. Sie dankte Gott dafür, dass Nate das durchgestanden hatte.
Hannah beugte sich über den ruinierten Beifahrersitz und nahm das Fernglas aus dem Ablagefach in der Tür. Dann kroch sie auf die Rückbank, hob die gummierten Okulare an die Augen und richtete das Glas durch das Rückfenster auf den See.
Zuerst war alles unscharf. Sie fokussierte den Brennpunkt auf die Wasserfläche und schwenkte das Glas. Kein Ruderboot war zu sehen. Kein unwillkommener Besucher, der ohne Erlaubnis angelte. Schließlich entdeckte sie das Boot doch noch, auf der Seite liegend am Kiesstrand des gegenüberliegenden Ufers. Die Ruder waren verschwunden, genau wie Gabriel. Hannah suchte den Rest des Tals ab, doch niemand lauerte zwischen den Bäumen oder an den Hängen, nirgendwo war etwas Auffälliges zu sehen.
Sie vernahm das Geräusch eines Motors, veränderte ihre Position, senkte das Fernglas und entdeckte einen alten verbeulten Defender, der in diesem Moment um die Ecke des Farmhauses bog. Der Wagen zog einen Anhänger hinter sich her. Sebastien. Als er parkte, öffnete Hannah die hintere Seitentür des Discovery und stieg aus.
Der alte Mann kletterte vom Fahrersitz. «Es gibt bald wieder Regen», sagte er mit einem Blick zu den Wolken hinauf. «Wenigstens bleibt uns die Kälte für eine Weile erspart. Wie geht es unserem Patienten?»
«Genau, wie du gesagt hast. Er ist steif, außerstande, sich zu bewegen, und er hat Schmerzen. Aber er lebt.»
Sebastien knurrte. «Das ist die Hauptsache. Ich habe dir Lebensmittel gebracht. Und so viel Diesel, wie ich kriegen konnte. Dazu Feuerholz.»
«Du bist ein Engel, Sebastien, den der Himmel geschickt hat.»
Für einen Moment sah er sie aus seinen smaragdgrünen Augen abschätzend an, dann verzog er das Gesicht zu einem Grinsen. «Ein Todesengel vielleicht. Ich habe auch neue Munition mitgebracht.»
Hannah half ihm dabei, die Kisten mit den Einkäufen ins Haus zu tragen: Gemüse, Milch, Brot, Teegebäck, Käse, Früchte. Sie starrte auf eine riesige Tafel Cadbury-Schokolade. Schließlich reichte Sebastien ihr zwei frischgeschossene Enten, die sie draußen an einen Haken hängte.
Zurück in der Küche, setzte sie den Wasserkessel auf und verstaute die Einkäufe, während Sebastien sich mit Leah bekannt machte. Das kleine Mädchen war zuerst schüchtern, bis er sich auf alle viere niederließ und ihr zeigte, wie sie Moses dazu bringen konnte, sich auf den Rücken zu rollen und den Bauch zum Kraulen zu entblößen.
Nate lag auf dem Sofa und sah den beiden aus müden Augen beim Spielen zu. Hannah brachte ihm eine Tasse Tee und strich ihm die Haare glatt, während er trank. «Wir sind unterwegs jemandem begegnet», berichtete sie. Als die beiden Männer alarmiert aufblickten, deutete sie mit einem unmerklichen Kopfnicken auf Leah, eine Ermahnung, vorsichtig zu reden. «Gerade eben, unten am See.»
Sebastien ging zum Fenster.
«Er ist weg», sagte Hannah. «Er war in einem Ruderboot unterwegs. Hatte ein paar Angelruten dabei.»
«Wie sah er aus?», fragte der alte Mann.
«Groß, gelocktes schwarzes Haar. Irischer Akzent.»
«Das war Gabriel.»
Hannah seufzte vor Erleichterung. «Du kennst ihn also. Er sagt, er wohnt auf der anderen Seite des Tals. Er kommt manchmal zum Angeln her und ist nicht besonders gut darin.»
«Ich bin ihm ein paarmal über den Weg gelaufen. Er hat einen kleinen Hof mit Pferden. Ein umgänglicher Bursche, ständig einen Witz auf den Lippen. Lästig wie sonst was.»
«Das würde ich nicht sagen. Aber wir wollen ihn trotzdem nicht um uns herum haben.»
«Worüber habt ihr geredet?»
«Nichts Besonderes. Ich habe ihn ziemlich knapp abgefertigt. Ich habe ihm gesagt, er solle sich einen anderen See zum Angeln suchen.»
«Gut. Gabriel ist harmlos, aber wenn er eine Chance wittert,
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