Der Baron und die widerspenstige Schöne
so groß, indes besaß er das gleiche nussbraune Haar und eine gewisse Lässigkeit, die sich in dem charmanten Lächeln widerspiegelte, das er soeben seiner Gastgeberin schenkte. Mrs. Ainslowe war eine lebhafte Brünette mit üppiger Figur, die vorteilhaft von dem tiefen Dekolleté ihrer bronzefarbenen Seidenrobe zur Geltung gebracht wurde. Die Feder ihres farblich abgestimmten Kopfputzes wippte fröhlich hin und her, während sie gestenreich mit ihrer Gastgeberin plauderte. Lady Broxted stöhnte erstickt auf.
„Ist alles in Ordnung, Tante?“
„Oh, ich wünschte, sie wären ein wenig länger in Berkshire geblieben“, murmelte Lady Broxted. „Was machen wir nur, wenn sie dich wiedererkennen?“
Carlotta lachte. „Das ist unmöglich! Als ich in Malberry Court war, bereisten sie den Kontinent.“
„Dennoch musst du sehr vorsichtig sein, Carlotta. Du darfst deinen wahren Namen nicht nennen.“
„Ja, ich weiß. Das habe ich dir und Onkel Broxted versprochen.“ Sie zögerte. „Wäre es denn wirklich so schrecklich, wenn bekannt würde, dass mein Vater Künstler ist?“
„Für deinen Onkel wäre es sehr peinlich, Liebes, und auch für mich. Es ist gut, dass bisher niemand nach deinen Eltern gefragt hat.“
Carlotta fühlte ein leichtes Unbehagen. „Dann sollten wir vielleicht ein wenig zurückgezogener leben. Sicher müssen wir uns nicht so oft in Gesellschaft begeben.“
Lady Broxted blickte sie erstaunt an. „Gehst du so ungern aus, Liebes?“
Carlotta zögerte. Doch als sie die besorgte Miene ihrer Tante bemerkte, wurde ihr bewusst, dass Lady Broxted ebenso viel Vergnügen an Bällen und Gesellschaften fand wie sie selbst, und sie mochte sie einfach nicht enttäuschen.
„Nein, natürlich nicht, Tante, ich gehe gerne aus. Aber ich möchte euch keinesfalls blamieren. Vielleicht können wir Mr. und Mrs. Ainslowe meiden …“
„Nein, ich fürchte, das ist nicht möglich. Sie werden gewiss an allen bedeutenden gesellschaftlichen Anlässen teilnehmen, und das solltest du auch.“ Lady Broxted richtete sich zu ihrer vollen, wenn auch geringen Größe auf. „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass deine Identität nicht enthüllt werden wird, zumindest nicht, bis du einen Heiratsantrag erhalten hast. Es gibt keinen Grund, warum wir das nicht schaffen sollten. Immerhin ist niemand hier, der dich kennt, nicht wahr?“
Carlotta wusste, der Augenblick war gekommen, ihrer Tante die Wahrheit über ihre Bekanntschaft mit Lord Darvell zu gestehen, doch sie schwieg. Sie sah, wie Luke den Saal durchquerte, um die Neuankömmlinge zu begrüßen, und das Herz rutschte ihr in die Knie. Es war eindeutig, dass Luke sich mit seinem Bruder und seiner Schwägerin gut verstand, zweifellos würde er ihnen alles über seine Tändelei mit der Tochter des Malers erzählen. Vermutlich muss meine Tante die Hoffnungen, die sie für mich hegt, schon am Ende des Abends begraben, fürchtete Carlotta.
Luke ergriff die Hand seines Bruders. „James! Wann bist du in der Stadt angekommen?“
„Heute Morgen. Adele hielt es nicht länger ohne Einkaufsbummel aus.“
„Unsinn!“, rief seine Gemahlin. „Du konntest es ebenso wenig erwarten, in die Stadt zu fahren. Luke, mein Lieber, wie geht es dir? Du siehst gut aus wie eh und je.“
„Und du bist noch bezaubernder geworden“, erwiderte Luke und gab ihr einen Handkuss. „Wie gefällt dir Malberry Court?“
„Es ist wunderschön, vielen Dank für deine Bemühungen. Kemble sagte uns, du weiltest mehrere Wochen in Malberry.“
„Ja, danke dir dafür“, sagte James. „Ich habe nicht erwartet, dass du mehr als ein oder zweimal nach dem Rechten siehst.“
„Armer Luke“, meinte Adele. „War dir der Aufenthalt sehr lästig und langweilig?“
Luke hätte gerne gesagt, dass es überraschenderweise die glücklichsten Wochen seines Lebens gewesen waren, aber das hätte zu Fragen geführt, und Adele entging nichts. Dieses Risiko konnte er nicht eingehen.
„Ich harrte so lange aus, wie ich konnte“, erwiderte er deshalb kühl und wechselte das Thema. „Ich dachte, ihr würdet länger auf dem Land bleiben.“
Adele schüttelte seufzend den Kopf. „Seit gut einem Monat genießen wir mehr oder weniger unsere traute Zweisamkeit.“
„Der Idealzustand für ein frisch verheiratetes Paar“, meinte Luke grinsend, worauf Adele ihm mit dem Fächer einen Klaps auf den Arm versetzte.
„Du kannst dir deine vielsagenden Blicke sparen! James und ich müssen endlich
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