Der Bastian
Fürchterliches schien sich dort zu
tun, das ihn nicht weiterschlafen ließ, obgleich er sich das Kopfkissen um die
Ohren klemmte.
Die Geräusche waren zu vielseitig, als daß man
sich an sie gewöhnen konnte. Ein Rumpeln war dabei, ein Klirren. Dann lief was
aus und plätscherte. Der Wasserhahn tutete beim Andrehen wie ein Nebelhorn, bei
stärkerem Aufdrehen ging das Geräusch in knatternde Attacken über.
Bastian hörte eine Weile zu, dann erhob er sich
und trabte auf den Flur hinaus zur Küchentür.
An deren Rahmen gelehnt sah er zu, wie Susi
saubermachte. Ihr Eifer rührte ihn. Der große Abwasch war vollbracht. Aber
mußte das ausgerechnet sein, während er schlief?
»Gott, hab’ ich mich erschrocken! Ich denke, du
schläfst!«
»Und ich dachte, du demontierst die Küche«,
gähnte er.
»Ich hab’ saubergemacht.« Sie war zufrieden mit
sich. »Das sah vielleicht hier aus. Jetzt muß ich bloß noch die Fenster
putzen.«
»Macht das auch Krach?«
»Nein, wieso?«
»Ich frage nur.«
Bastian versuchte mehrmals an diesem Wochenende,
Katharina Freude zu erreichen. Sie war nicht da. Wo war sie? Er wußte so wenig
von ihr. Sie entrückte ihm mehr und mehr, während Susi sein Privatleben vergewaltigte.
Nicht mal zum Lesen kam er in seinen vier
Wänden. Weil ständig jemand um ihn herum war, der sich hörbare Mühe gab, ihn
nicht zu stören.
Susi. Susi Schulz. Ein neu erblühendes Mädchen
von zweiundzwanzig Jahren, das nun, da es ein Dach über dem Kopf und einen
hübschen jungen Mann seiner Wahl als Schutz hatte, sich stündlich mehr mit dem
Gedanken befreundete, Mutter zu sein. Sie war ganz verliebt in ihr Kathrinchen
und sagte alle fünf Minuten: »Ich will dich ja nicht stören, Bastian, aber komm
doch mal! Schnell — schnell.«
Er sprang aus seinem Sessel auf, stolperte über
die Babywaage, erreichte Susi, die verzückt ins Körbchen lächelte.
»Was ist denn?«
»Jetzt ist es vorbei«, sagte sie bedauernd.
»Was war denn?«
»Kathrinchen hat so süß geatmet.«
Fünfmal in der Stunde mußte er sich die Händchen
anschauen, zweimal am Tag das Näschen, und als er sich endlich in seiner
Wochenendzeitung festgelesen hatte, fragte Susi: »Ich will dich ja nicht
stören, aber magst du eigentlich Spinat?« Bastian befand sich bald in einem
nervösen Zustand, in dem er Susi entweder anbrüllte oder sie aus Reue über
seinen unkontrollierten Ausbruch küßte — beides Handlungen, die fehl am Platze
waren.
So verlief der Samstag. Dann kam der Sonntag.
Das Frühstück in der Küche. Der Toast sengte still vor sich hin. Bastian hatte
Honig an vier Fingern gleichzeitig, Susi fand das lustig. »Mein Großvater sagte
immer: >Morgens Honig gegessen, den ganzen Tag klebrige Finger.<«
Kathrinchen schlief. Warum schlief Kathrinchen
immer, wenn Bastian gerade nicht schlief?
Susis Frauchensorge: »Möchtest du noch ein Brot,
ja? Ich mach’ dir eins.«
»Ich mag nicht mehr.«
»Mit Marmelade oder mit Käse?«
»Ich sag’ dir doch, ich mag nicht mehr.« Er
holte seine Zigaretten, Susi nahm ihm das Feuerzeug fort.
»Du rauchst zuviel.«
»Wenn ich nicht nach dem Frühstück rauche, gerät
mein ganzes System durcheinander.«
»Also schön, aber nur die eine, hörst du? Nun
mach nicht so ein Gesicht i Sei lieber froh, daß endlich einer da ist, der auf
dich aufpaßt.« Schon sprang sie auf, um abzuräumen.
»Laß doch — laß doch stehn. Sei nicht so
ungemütlich«, brummte er gestört.
Susi antwortete mit einem waidwunden Rehblick,
»‘tschuldige«, sagte Bastian, »aber ich komm’ mir langsam wie verheiratet vor.«
»Nicht wahr? Wir sind schon eine richtige kleine
Familie.« Bastian wollte keine kleine Familie sein. Er wollte frei sein.
Verdammt noch mal. Er wollte Katharina Freude lieben, ohne dabei ständig
gestört zu werden.
Das hilflose Weibchen Susi Schulz war erst zwei
Tage bei ihm, und schon fing sie mit dem Stricken an. Fing bei seinen Füßen an,
würde ihn, wenn er nicht sehr scharf aufpaßte, in spätestens einem Monat bis
zum Hals wie eine Mumie eingestrickt haben, samt angelegten Armen, nichts blieb
ihm, um sich freizustrampeln — sein Schreien würde ungestört verhallen.
Bastian sprang auf, als ob ihn was gestochen
hätte. Was richtig Gefährliches.
Er ging zur Mülltüte. In der Mülltüte steckte
der Anzeigenteil der Süddeutschen Zeitung, den er nur las, wenn er etwas
gebraucht kaufen oder loswerden wollte. Jetzt wollte er etwas loswerden.
Die Seiten mit
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