Der Bastian
Liebe, Schöne, Gesundheit
und einen Dukatenscheißer.« Großmutter war zu Tränen gerührt. Das lag an seinem
selbstgemachten Gesangsstück. Schöne, gefühlvolle Musik ging ihr immer an die
Nieren. (Sie war sogar überzeugt, daß auf Beerdigungen halb so viele Leute
weinen würden, wenn der Trauergottesdienst ohne musikalische Untermalung
abgehalten würde.)
»Vielen Dank, Bub, danke — dein Lied war hübsch.
Aber ich darf gar nicht an Schlager denken.« Sie deutete auf die Zeitung. »Hast
du schon gelesen? Nein. Es ist zum Heulen, Bub, aber erst mal mußt du
frühstücken.«
Bastian schaute auf die vielen Torten und
Kuchen, die in der Küche herumstanden.
»Hast du zufällig ein Stück Torte?«
Während Susi ihm auftat, litt Martha Guthmann
laut vor sich hin.
»Da, Bub — hör dir das an, was hier steht:
>Die alte Frau Guthmann< — in Klammern >7o< — kannst du mir mal
sagen, weshalb sie hinter jeden, über den sie schreiben, das Alter setzen
müssen?«
»Stört es dich, wenn die Leser erfahren, daß du
heute siebzig geworden bist?«
»Nein.«
»Na also.«
»Aber stell dir vor, ich wäre fuffzig geworden
und hätte noch Chancen!« Sie nahm die Zeitung vor die Nase und las vor:
»>Die alte Frau Guthmann (70) zitterte vor Glück, als sie Ferry Blanc
gegenüberstand.<« Verzweifelter Blick auf Bastian. »Bub, ich hab’ nicht
gezittert. Warum sollt’ ich denn auch gezittert haben!?«
Da Susi eine Gabel vergessen hatte, nahm Bastian
sein Stück Cremetorte in die Hand und biß davon ab. »Schmeckt sagenhaft.«
»Und dann hör dir das an: >Es war das größte
Erlebnis ihres langen, arbeitsamen Lebens.<« Die Zeitung sank knisternd in
Großmutters Schoß. »Größtes Erlebnis. Bei denen piept es doch! Herrgottzeiten,
was hat’s in meinem Leben alles gegeben! Ausgerechnet dieser Ferry Blanc... Und
du lachst auch noch!« fuhr sie Bastian an.
»Es gibt ein modernes Sprichwort. Das heißt:
>Wer sich in ein Interview begibt, kommt darin um.<«
Großmutter nahm die Zeitung wieder auf. »Jetzt
kommt die größte Frechheit. Hör zu: >Die Greisin weinte vor Rührung, als ihr
Ferry Blanc zum Abschied seinen neuesten Hit vorsang.< — Der und gesungen!
Daß ich nicht lache. Der hat nicht mal pieps gesagt.«
Erneutes Türklingeln unterbrach ihren Gram.
»Schon wieder! Das kann ja heut noch schlimm
werden!« sagte sie befriedigt. »Susi, gehen Sie?« Und zu Bastian: »Die Greisin
weinte vor Rührung. So ‘n Blödsinn. Ich hab’ nicht geweint, und Bub — schau
mich an — , bin ich eine Greisin?«
Er hatte plötzlich eine Mordswut auf diesen
Reporter, diesen blöden Hund, den! Er wollte ihr so viel Tröstendes sagen, aber
er hatte den Mund voll Cremetorte, und dann kam Susi mit einem Schmucktelegramm
herein.
»Gib dem Boten ein Stück Kuchen«, sagte
Großmutter und öffnete den Umschlag. Sie las laut:
»Frau Guthmann zum siebzigsten Geburtstag die
herzlichsten Wünsche. Professor Dr. Klein.«
Der Kummer über die »Greisin« war vergessen.
Sie schaute überwältigt um sich. »Der Chefarzt
von dem Krankenhaus, wo ich damals gelegen hab’. Der Chef persönlich gratuliert
mir!«
»Und wenn man bedenkt, daß sein Titel zwei Worte
gekostetet hat«, lachte Bastian und liebte Kathinka für diesen Einfall.
Obgleich sie böse mit ihm war, hatte sie im Namen des Chefarztes an seine
Großmutter telegrafiert.
Schon wieder klingelte es. Was für ein Tag!
Susi rannte zur Tür.
Und Großmutter las zum fünftenmal das Telegramm.
Was immer an Glückwünschen, Besuchern und Präsenten an diesem Tag auf sie
zukommen mochte — das Telegramm vom Chefarzt würde das Höchste bleiben.
Bastian ging auf den Flur hinaus, als er Karlis
Stimme hörte. Und konnte kaum glauben, was er dort sah: Karl und Susi lächelten
und lächelten und lächelten sich zur Begrüßung unerschöpflich an.
»Wie geht es Ihnen?«
»Und Ihnen?«
»Und Ihnen?«
Mehr fiel den beiden nicht ein.
Bastian stand daneben und staunte. Was sollte
denn das werden? Etwa ein neuer Referendar aus Köln? Schlitterte die Susi schon
wieder in eine Liebe hinein, die sich nach dem Abklingen des ersten
Enthusiasmus als Irrtum herausstellte!? Klappzahn war kein Mann für sie. Viel
zu egozentrisch und zu bequem. Mädchen durften keine zu hohen Ansprüche an ihn
stellen. Sie durften auch nicht zu weit entfernt von ihm wohnen — wegen dem
lästigen nächtlichen Heimbringen. Wenn er irgendwelche Komplikationen
befürchtete, ließ er sie fallen wie eine heiße
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