Der Bastian
Kartoffel.
Eines Tages würde er ein adrettes, ein wenig
fades, aber nicht unvermögendes Mädchen »aus guter Familie« heiraten. Auf
keinen Fall eine arme Kirchenmaus mit unehelichem Kind. Sollte er Susi warnen?
Aber wer springt schon aus einem fahrenden Zug?
Und dann ärgerte sich Bastian. Immer seine
Freundinnen! Erst Katharina Freude. Bei der hatte Klappzahn nicht landen
können. Jetzt ging er auf Susi los und, wie es schien, mit mehr Erfolg.
Er räusperte sich.
Karl bemerkte ihn zuerst. »Gut, daß du da bist.
Du mußt mir helfen. Allein schaff’ ich das Ding nicht herauf.«
Die Brüder gingen zum Auto hinunter, um die
Kühlbox zu holen. Es war die kleinste und billigste, die Karl hatte auftreiben
können.
Bastian konnte sich dabei einen Kalauer nicht
verkneifen. »Ich möchte wissen, was aus warmen Gefühlen wird, die mit dem Kauf
einer Gefrierdingsda begonnen haben«, sagte er.
Nie wieder siebzig
Martha Guthmanns Dreizimmerwohnung glich an
diesem Tage einer Notunterkunft während eines Belagerungszustandes. Sie mußte
ständig sämtliche Fenster geöffnet halten, um das Geschnatter der vielen
Gratulanten ablassen zu können. Bastians Anrufe hatten siebenundzwanzig
Verwandte nach München zitiert.
Dazu dreizehn Personen aus der Nachbarschaft.
Vom Krankenhaus kamen Schwester Theresa, die
zufällig ihren freien Nachmittag hatte, und eine Lernschwester.
Zwei Töchter von Großmutter gingen herum und
schauten sich genau die Möbel an, aber es war nicht viel dabei, was sich zu
erben lohnte.
Zwischen den Beinen der Erwachsenen prügelten
sich Urenkel in Sonntagskleidern. Eines brüllte immer.
Die Torten reichten nicht.
Onkel Herbert, der Lebemann der Familie, kniff
seiner siebzehnjährigen Nichte in den Popo.
Großmutters Schwester Meta war beleidigt, weil
man ihren Erzfeind Bruno auch eingeladen hatte. Sie fuhr einen Zug früher als
beabsichtigt nach Augsburg zurück.
Großmutters beste Vase ging in Scherben. Keiner
wollte es gewesen sein.
Bereits um vier Uhr nachmittags war ihr Sohn
Manfred sternhagelvoll und stänkerte mit seiner Frau, welche darüber in Tränen
ausbrach.
Sie hatten nicht genügend Tassen und Teller,
auch wenn sie zwischendurch immer wieder abwuschen.
Einer ging, einer kam. Jeder wollte herzlich
begrüßt und herzlich verabschiedet werden.
Die Erwachsenen sagten, bloß keinen Kuchen, sie
müßten an die Kalorien denken. Sie dachten an die Kalorien und fraßen. Gegen
halb sechs klingelte ein Student, der Großmutter ein Zeitschriftenabonnement
aufschwatzen wollte.
Zehn Minuten später stand ein alter Mann vor der
Tür und entblößte zwei Reihen falscher Zähne in einem unendlich freudigen
Lachen. Fragte »Martha? Bist du’s?« und war ihr Schwager Alois, der 1936 nach
Schweden ausgewandert war.
Sie hatte geglaubt, er wäre längst tot, weil sie
in den letzten Jahren keinen Weihnachtsgruß von ihm erhalten hatte.
So kann man sich irren.
Schwager Alois ahnte nichts von ihrem Geburtstag.
Er kam rein zufällig vorbei als Teilnehmer einer schwedischen Reisegruppe. Seit
er Witwer war und sein Holzgeschäft verkauft hatte, machte er jedes Jahr eine
Auslandsreise.
Martha Guthmann freute sich sehr, aber mußte er
ausgerechnet heute kommen?
Sie hatte nichts lieber als Besuch, doch der
hier war ihr zuviel. Das war kein Besuch, sondern ein familiärer
Heuschreckenschwarm, der über sie hereingebrochen war und ihre Vorräte kahlfraß
und trank und miteinander, durcheinander, übereinander tratschte und hudelte.
Es war nicht mehr schön. Großmutter hatte nur die Arbeit und den Abwasch und
die Sorge um den Nachschub. Ihr Portemonnaie wurde nicht mehr kalt in ihrer
Hand.
Wie gern hätte sie mit Schwester Theresa über
das Krankenhaus gesprochen, an das sie noch immer wie andere an Teneriffa
dachte. Aber wann sollte sie? Sie saß ja keinen Moment still.
Sie war Serviermädchen, Küchenpersonal,
Empfangsdame, Gastgeberin und Finanzier dieser lautstarken Invasion.
Und zwischendurch mußte sie dem brüllenden
Kathrinchen die Flasche geben. Denn Susi, die um vier Uhr Zigaretten holen
gegangen war, war um sechs noch immer nicht zurück. Anscheinend holte sie
Zigaretten aus Augsburg.
Gegen halb sieben erschien Bastian wieder. Es
gelang ihm, innerhalb einer Viertelstunde die Stuben leerzufegen, ohne dabei
jemandem ins Kreuz oder Schienbein zu treten.
Man schied mit dem indirekten Vorwurf an die
Gastgeberin, zuviel gegessen und getrunken zu haben.
Servus Martha —
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