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Der Bastian

Der Bastian

Titel: Der Bastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Noack
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Vollmondgesicht. Glubschaugen. Krause
Haare. Noch kein Busen, dafür Magen. Fünfzehn Jahre alt und auf dem Gipfelpunkt
weiblicher Pubertät angelangt.
    Biggy ließ sich neben Bastian auf der Böschung
nieder und guckte auf seine denkenden Finger.
    »Was machen Se denn da? Zähln Se Ihre Piepen?«
    Bastian guckte kurz auf. »Ich zähle nach, mit
wem ich alles zerstritten bin.«
    »Warum?« fragte Biggy.
    »Ja, warum...«
    »Knies mit Ihrer Ische?«
    Er antwortete nicht.
    Sie nahm neben ihm Platz und streckte die Beine
vor sich her, die in roten Socken endeten. Blaßrosa Beine mit Narben am Knie
und ohne jede Form.
    »Ick komm’ aus Berlin. Kenn’ Se Berlin?«
    »Ja.«
    »Kenn’ Se’s ehrlich?«
    »Meine Kusine ist da verheiratet.«
    »Wo denn da?«
    »Wilmersdorf.«
    »Wilmersdorf! Da wohn ick ooch. Zufall, was?«
    »Ja.«
    »Die Welt is klein.«
    »Wie groß ist denn Wilmersdorf?«
    »Irre groß.«
    »Dann ist die Welt wirklich klein im Vergleich
zu Wilmersdorf.«
    »Sarick ja.«
    Bastian sank in seinen Kummer zurück. Vergaß
darüber Biggy aus Berlin.
    »Ick bin bloß bis übermorgen hier.«
    »Ach.«
    »Dis is mein Opa sein Hund.«
    »Nett.«
    »Aber kiebig.«
    Er stand auf, wünschte Biggy noch viel Spaß in
München und ging Richtung Corneliusbrücke, und als er einmal zufällig zur Seite
blickte, war Biggy neben ihm.
    »Glooben Se ja nich, daß ick Ihnen
nachjeschlichen bin. Ick muß hier lang. Da drüben wohnt mein Opa«, versicherte
sie, rot bis zu den Ohren.
    Ging immer einen Schritt hinter ihm. Unterhielt
sich mit Opas Hund. War plötzlich wieder auf Bastians Höhe.
    »Wissen Se zufällig, wo’t hier Zuckerwatte
jibt?«
    Bastian seufzte.
    »Kenn’ Se nich?«
    »Doch.« Kannte er. Er hatte bisher nur nicht
gewußt, daß Zuckerwatte ein Ansprechungsgrund war.
    »Schmeckt dufte. Ehrlich«, sagte Biggy
beschwörend. »Beißt man rein — plötzlich hat man nischt mehr im Mund. Ein irret
Jefühl.«
    Sie schaute ihn an. »Ist Ihnen nie nach
Zuckerwatte?« Bastian blieb stehen und lachte.
    Diese Biggy hatte etwas von einem jungen Hund,
der einen mit seiner Zutraulichkeit verfolgt und sich nicht abwimmeln läßt.
»Also komm«, sagte er.
    Zwei Stunden lang suchten sie in der Au und rund
um den Viktualienmarkt vergebens nach Zuckerwatte.
    Dabei gab Bastian all sein Geld, das er bei sich
trug, für Eis, Bonbons, Strohblumen, einen Stoffhund, Weißwürste und gebrannte
Erdnüsse aus.
    Daß er seine Fröhlichkeit wiederfand, hatte er
Biggy aus Wilmersdorf zu verdanken. Eine große Klappe, hinter der sich ein
schüchternes Mäuschen versteckte.
    »Gehst du immer so vertrauensselig mit fremden
Männern mit?«
    »Bin ick doof? Aber mit Ihnen — Sie tun doch
keinem nischt. Sieht man ja. Wat machen Se eigentlich?«
    »Ich werd’ Lehrer.«
    Biggy ließ ein Lachen platzen. »Ick wer
varrückt. Sie und Pauker!«
    »Na und? Was ist denn daran so komisch?« ärgerte
er sich. »Naja... ick meine bloß — die Määchens.« Sie war plötzlich sehr
verlegen.
    Schräg gegenüber von dem Haus, in dem ihr
Großvater wohnte, verabschiedete er sich von ihr.
    »Mach’s gut, Biggy. Grüß Wilmersdorf.«
    »Wir machen erst übermorgen zurück. Ick hätt’
morgen noch Zeit.« Ihre Munterkeit war verflogen. »Ick geh’ hier immer mit’n
Wastl spaziern.« Todtrauriger Blick. »Ick kann schon vormittags...«
    Sie tat ihm plötzlich leid.
    »Ich werd’s versuchen, Biggy.«
    »Ehrlich?« Sie glaubte ihm nicht.
    »Servus, Biggy.«
    »Tschüß. Und vielen Dank für alles.« Sie zog
eine Blüte aus ihrem Strohblumensträußchen. »Ne janze Kleinigkeit zum
Erinnern.«
    Bastian nahm die Blume und küßte Biggy auf die
Wange. Und ahnte nicht, was er damit anrichtete.
    Wie sollte Biggy nach ihm noch einen von ihren
pickligen Knilchen nett finden.
    Wie denn, Mensch?
     
    Bastian kam nach Haus und ging sofort ans
Telefon.
    Beim Auftragsdienst war nur ein Anruf von seiner
Großmutter. Schönen Gruß, und sie käme morgen früh vorbei.
    Sonst war nichts?
    Nein.
    O Kathinka, dachte er, warum nicht? Ruf doch an!
    All die gute Laune, die ihm Biggy geschenkt
hatte, war wieder verflogen.
     
     
     

Der Brief
     
    Punkt neun stand Martha Guthmann vor Bastians
Wohnungstür. »Ja, Bub, was war denn gestern los mit dir? So darfst du mich
nicht anschreien. Du hättest mir auch freundlicher sagen können, daß du nicht
mehr Taxi fährst.« Außer Vorwürfen packte sie eine Tüte mit frischen Brezen und
einen Andechser Käse auf den Küchentisch.

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