Der Bastian
behutsam ihren Mund.
»Behüt’ dich.«
»Behüt’ dich auch, Bastian.«
Er war es dann, der zuerst fortging, rasch, ohne
sich noch einmal umzusehen.
Bastian war so in Gedanken, daß er niemanden
sah, als er in der Ohlmüllerstraße aus der Trambahn stieg und heimging. Nicht
einmal seine Großmutter und Susi Schulz, die gemeinsam an einem Paket trugen.
»Der träumt aber schön«, lachte Susi. »Den
könnt’ man glatt überfahren, ohne daß er’s merkt. Sollen wir ihn ansprechen?«
Martha Guthmann reagierte entsetzt. »Einen Schlafwandler! Gottes willen!
Nachher stürzt er ab.«
Sie warteten, bis er in sein Haus gegangen war.
Dann folgten sie langsam.
Großmutter
mußte mehrmals auf der Treppe stehenbleiben und sich erholen. »Es sind doch
ziemlich viele Stufen.«
»Es ist ja das letztemal, daß du hier
heraufsteigen mußt«, tröstete Susi.
»Ja. Leider.«
Bastian öffnete ihnen erst beim zweiten Schellen
und nicht eben begeistert. »Ach ihr. Ich bin grad heimgekommen.«
»Das ist uns bekannt«, sagte Großmutter. »Wir
bringen deine Wäsche und wollten dir packen helfen, oder hast du schon?«
»Nicht ein Stück habe ich gepackt. Der Zug geht
ja erst morgen mittag.«
Martha Guthmann verdrehte die Augen. Wenn das
ihr Zug wäre, der morgen mittag ging, säße sie wahrscheinlich schon in Hut und
Mantel parat. »Was nimmst du denn nun alles mit?«
»Ach, Bücher und was zum Anziehen. Und Geschirr.
Der Kaspar hat ja nichts Eigenes, weil er doch in einer Küchengemeinschaft
gewohnt hat.«
Großmutter packte ihre Schürze aus. »Habt ihr
denn überhaupt Betten?«
»Ach so, ja. Daran habe ich noch gar nicht
gedacht. Meine Matratze und das Bettzeug...« Er brach mitten im Satz ab, denn
er hatte mit seinem Zigarettenpäckchen ein kleines, zerknautschtes Foto von
Kathinka aus der Hosentasche gezogen. Kathinka lachend im Wind.
Wo er hinfaßte, fand er immer noch was von
Kathinka. Das beste war, er mistete die Erinnerungen an sie gründlich aus und
schmiß sie dann doch nicht fort, sondern in einen Karton, den er verschnüren
und mitnehmen konnte.
»Ja, dann wollen wir mal«, sagte Susi aufreizend
munter. »Hast du schon Kisten besorgt?«
»Wieso Kisten? Wozu?«
Die beiden Frauen schauten sich bedeutsam an.
»Er schlafwandelt noch immer«, flüsterte Susi
Großmutter zu.
»Wo willst du denn deine Siebensachen drin
einpacken?« fragte Großmutter behutsam, während sie ihre Schürzenbänder auf dem
Rücken zusammenband. (Das hatte Bastian ein Leben lang nicht fassen können —
wie eine Frau auf ihrem Rücken eine Schleife zu binden vermochte.)
»Es müssen noch Kartons auf dem Speicher sein«,
sagte er. »Ich schau’ nachher mal nach.«
Martha seufzte vernehmlich.
Bastian verstand. »Keine Sorge, ich krieg’ den
Zug.«
»Was wird denn nun mit deiner Wohnung?«
»Die übernimmt die Schwester vom Kaspar. Sie ist
Gewerbelehrerin.«
»War sie schon hier?«
»Nein, aber sie kommt noch. Entweder heute abend
oder morgen früh.«
Bastian setzte sich auf seinen einzigen Tisch,
nahm den Aschenbecher in die Hand und schaute sich um.
Seine schöne Sammlung von Genrebildchen. Elfen.
Engeln. Geigespielende Eremiten. Gott Pan, der eine schlafende, üppige Nymphe
kitzelt. Und die molligen Träumerinnen auf ihrem Kanapee. Es hatte so viel
Freude gemacht, diese Stücke aufzustöbern und an die Wände zu baumeln. Aber was
sollte er mit ihnen da unten im tiefen, ernsten Bayrischen Wald!? »Bastian!«
mahnte Großmutter.
»Ich geh’ ja schon.« Er rutschte vom Tisch.
»Vergiß die Kartons nicht.«
»Deshalb geh’ ich ja auf den Speicher.«
»Das weißt du aber nicht mehr, wenn du dort
außer Kartons auch noch Bücher findest und dich festliest.«
Seine Großmutter war eine weise Frau.
In der Küche öffnete sie die Büfettüren und
besah sich seinen Porzellanbestand. Doll war das nicht, aber bunt. Susi packte
inzwischen zwei Dutzend alte Abendzeitungen aus, die waren zum Einwickeln des
Geschirrs gedacht.
»Ist ja ziemlich schäbig, aber was soll man
machen«, sagte Großmutter und griff nach einer Teekanne — und tat sie erst mal
in den Abwaschtisch. Schließlich konnte man kein ange-schmuddeltes Geschirr
verpacken.
Bastian kam mit Kartons vom Speicher.
»Was sollen die bloß auf dem Lande von dir
denken, Bub!«
»Ist mir scheißegal.«
»Aber mir nicht. Schließlich bist du mein
Enkel.«
»Ja doch, Martha.« Bastian schlug Blicke an die
Zimmerdecke. »Gelobt sei der Tag, an dem mir kein Weib
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