Der Benedict Clan - Zwischen Hoffen und Bangen
beobachtet.“ Ihre Stimme klang gepresst.
„Meine Mutter ist Künstlerin. Wahrscheinlich bin ich von daher daran gewöhnt, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten.“ Er hielt kurz inne, dann fragte er: „Dann sind Sie also hier, um sich inspirieren zu lassen?“
Die Worte trafen sie so unvorbereitet, dass ihr fast der tiefere Sinn entgangen wäre, wenn sie nicht mit irgendeiner Art Verhör gerechnet hätte. Mit einem nichts sagenden Lächeln fragte sie zurück: „Warum nicht?“
Er überhörte die Herausforderung, die in ihrem Ton mitschwang, und schaute sich erneut im Zimmer um. „Auf jeden Fall sollten Sie sich von mir nicht von ihrem Arbeitsplatz vertreiben lassen.“
„Sie vertreiben mich nicht. Ich ziehe es nur vor, woanders zu arbeiten.“
„Weil ich Sie zu sehr ablenke.“
„Bestimmt nicht.“
„Vielleicht fürchten Sie sich ja nur vor dem, was Lainey mir erzählen könnte“, vermutete er in trügerisch sanftem Ton.
Diesmal war sie diejenige, die beschloss, die Herausforderung zu überhören. Stattdessen meinte sie: „Meine Tochter hat nichts zu erzählen.“
„Dann können Sie doch genauso gut hier arbeiten, oder? Es wäre viel bequemer für Sie, weil hier Ihre ganzen Sachen sind, davon abgesehen ist es für Lainey kühler.“
Mit der letzten Bemerkung hatte er Recht. Die beiden Fenster, die frische Luft hereinlassen konnten – eins in der Küche und eins in dem größeren Schlafzimmer – reichten nicht aus. Draußen war es bestimmt schrecklich schwül. „Wir können jetzt die Färbebäder ansetzen und den Stoff später am Abend färben.“
„Oder heute spielen und morgen arbeiten.“
Spielen. Sie hatte fast vergessen, was das Wort bedeutete. Nicht, dass sie sich nicht mit Lainey beschäftigt hätte. Sie lasen zusammen, schauten sich gemeinsam Videos an, kochten und gingen spazieren. Eigentlich machten sie fast alles zusammen. Aber Lesen taten sie in erster Linie zur Übung, die Filme dienten während medizinischer Prozeduren zur Ablenkung, das Kochen sollte appetitanregend wirken, und Spaziergänge machten sie, weil Lainey viel Bewegung brauchte. Es gab wenig, was sie einfach nur zum Spaß taten. Das war nicht unbedingt eine neue Erkenntnis, aber irgendwie kam es ihr jetzt deprimierender vor als früher.
„Ich habe keine Zeit für Spaß und Spiele“, sagte sie schroff.
Clay neigte den Kopf. „Und was ist mit Lainey?“
Ja, was? Wenn Jannas Rechnung aufging, würde ihre Tochter bald alle Zeit der Welt haben, um endlich wieder ein Kind sein zu können. Und wenn nicht, oh, wenn nicht, dann würde es mit dem Spielen für alle Zeit vorbei sein, für sie beide.
Sie warf Clay einen argwöhnischen Blick zu. „Warum wollen Sie mich … uns unbedingt hier haben?“
Er lächelte ein Tausend-Watt-Lächeln. „Vielleicht hat Lainey ja Recht, vielleicht fühle ich mich wirklich einsam.“
Das bezweifelte sie, aber ihr war schmerzlich bewusst, dass sich ihre Tochter im Gegensatz zu ihr höchstwahrscheinlich nach Gesellschaft sehnte und ihre Gefühle möglicherweise auf Clay projizierte. Auf jeden Fall könnte sie genauso gut hier arbeiten, wo sie diesen Mann im Auge behalten konnte. Vor allem, weil sie seiner Fügsamkeit nicht traute. Anfangs hatte sie geglaubt, dass er sich vielleicht von den Nachwirkungen des gestern verabreichten Schlafmittels erholte, aber die mussten inzwischen abgeklungen sein. Dass er lautstarken Protest anmeldete oder einen Fluchtversuch unternahm, wäre unter diesen Umständen normal gewesen, aber das war bis jetzt noch nicht geschehen. Entweder wollte er sie in falscher Sicherheit wiegen, oder er hatte für sein Stillhalten Gründe. Und sie wusste nicht, welche Aussicht sie mehr beunruhigte.
„Ich habs mir anders überlegt, Mama“, meldete sich Lainey zu Wort. „Ich bleibe doch lieber bei Clay.“
„Oh, Schätzchen, ich glaube nicht, dass …“
„Keine Angst, ich tue ihr schon nichts“, fiel Clay ihr ins Wort. „Ganz bestimmt nicht.“
Als sie seinem Blick begegnete, verlor sie sich für ein paar lange Sekunden in den strahlend blauen Tiefen seiner Augen. Konnte sie ihm trauen? Durfte sie es wagen, ihm zu vertrauen? Warum nicht? Immerhin war nicht er es, der vorhatte, gegen das Gesetz zu verstoßen, sondern sie. Er war nur ein Mann, der sich ausschließlich um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert hatte, bis sie ihn hier festgehalten hatte.
Nachdem ihr dies klar geworden war, rief Janna sich zur Ordnung. Ganz egal, wie Clay war,
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