Der Berg der Sehnsucht: Big Sky Mountain (German Edition)
den Daumen in den Mund, obwohl sie diese Gewohnheit längst aufgegeben hatte.
Ein weiterer Reiter mit Helm folgte, der nach zweieinhalb Sekunden unfreiwillig seinen Platz auf dem Bullen räumen musste. Und dann war Hutch an der Reihe.
Es kam Kendra so vor, als würde sich das ganze Universum auf sie, Madison, Hutch und den Bullen reduzieren, der noch in der Box stand. Hutch, der sich gegen einen Helm entschieden hatte, rückte lachend seinen Hut zurecht, während er etwas zu dem Mann sagte, der im nächsten Moment das Gatter öffnete. Der Bulle von der Größe eines Personenwagens kam mit Hutch auf seinem Rücken in die Arena gestürmt.
Ein Sprecher erzählte etwas über Hutchs Können, das er schon früher beim Bullenreiten unter Beweis gestellt hatte, aber für Kendra hörte es sich so an, als würde die Stimme vom Boden eines weit entfernt stehenden Blecheimers an ihre Ohren dringen.
Die großen roten Ziffern der Stoppuhr liefen weiter und weiter, da Hutch sich immer noch auf dem Bullen halten konnte, der wilde Drehungen beschrieb und immer wieder bockte, um den lästigen Reiter irgendwie abzuwerfen. Ein lauter Summer ertönte, dann kam ein anderer Cowboy in die Arena geritten, näherte sich dem aufgebrachten Tier, damit Hutch auf das Pferd überwechseln und in Sicherheit gebracht werden konnte.
Acht Sekunden.
Bis zu diesem Tag hätte Kendra es nicht für möglich gehalten, dass acht Sekunden so endlos lange dauern konnten.
Die Zuschauer klatschten und pfiffen begeistert, einige begannen, auf dem Holzboden zu trampeln, sodass die ganze Tribüne zitterte. Der Sprecher verkündete unterdessen gut gelaunt, dass es für die Konkurrenz schwierig werden würde, Hutch zu schlagen.
Madison kletterte auf Kendras Schoß. „Ist er jetzt fertig?“, fragte sie keuchend, so als hätte sie so wie Kendra die ganze Zeit über gebannt den Atem angehalten.
„Ja“, antwortete sie und drückte ihre Tochter fest an sich. „Es ist vorbei.“
„Das ist gut“, erklärte Madison. „Dieser Kuh-Mann sieht böse aus.“
Diese Bemerkung brachte Kendra zum Lachen, und sie merkte, wie ihre Anspannung ein wenig nachließ. Vor allem war ihr Magen nicht mehr so verkrampft wie noch vor ein paar Minuten. „Ich glaube, der Kuh-Mann ist auch böse“, stimmte sie ihr zu.
Sie sahen zu, wie Hutch über einen Zaun aus der Arena kletterte, während sich der nächste Kandidat bereit machte, den nächsten Bullen zu bezwingen.
Kendra nahm den Rest des Rodeos nur noch wie aus weiter Ferne als einen endlosen Strom aus immer neuen Cowboys und Tieren wahr. Aus den Lautsprechern quollen zusammenhanglose Worte und von Zeit zu Zeit brandete begeisterter Applaus auf. Sie saß da und hielt Madison etwas zu fest an sich gedrückt, und immer wieder malte sich ihr Verstand gegen ihren Willen aus, wie grundlegend anders Hutchs Ritt auch hätte ausgehen können.
Als nach einer Weile Hutch und die Gewinner in den anderen Kategorien verkündet wurden und die Abschlusszeremonie begann, hatte Kendra so wacklige Knie, dass sie im ersten Moment nicht aufstehen konnte. Schließlich riss sie sich zusammen und verließ mit Madison die Tribüne, um sich wie verabredet mit Hutch vor dem Tor zur Arena zu treffen.
Als sie ihn dort unversehrt stehen sah, verspürte Kendra das fast überwältigende Verlangen, sich ihm an den Hals zu werfen und ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Zum Glück gelang es ihr, sich nicht auch tatsächlich dazu verleiten zu lassen.
„Glückwunsch“, sagte sie lässig, straffte die Schultern und hob das Kinn ein wenig an.
Madison war wesentlich direkter, denn sie marschierte auf Hutch zu, stemmte die Hände in die Hüften und legte den Kopf in den Nacken, um ihrem Gegenüber ins Gesicht sehen zu können. Dabei rutschte ihr Hut nach hinten, wurde aber von der Kordel um ihr Kinn am Runterfallen gehindert. „Ich mag das nicht, wenn du auf Kuh-Männern reitest“, ließ sie ihn ohne Umschweife wissen. „Du kannst dir da ganz schlimm wehtun!“
Lächelnd ging Hutch vor ihr in die Hocke und betrachtete ihre missbilligende Miene. „Mir ist doch nichts passiert, Kleine“, erwiderte er ruhig. Nach dem Tonfall zu urteilen, hätte er auch mit einem Erwachsenen, nicht mit einem Kleinkind reden können. „Das siehst du doch, nicht wahr?“
Madisons Verärgerung ließ ein wenig nach, so wie er es beabsichtigt hatte. „Reitest du oft auf Kuh-Männern?“, wollte sie wissen.
„Nein, nur einmal im Jahr, wenn das Rodeo stattfindet.“
Eine
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